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Kultur
Schweizer Kulturinstitutionen merken, dass sie etwas für die freie Szene tun müssen, da viele Künstler wegen der Coronakrise nicht mehr auftreten können und kein Geld verdienen. Das Luzerner Sinfonieorchester lanciert sogar eine neue Konzertreihe mit ihnen – und für sie.
Über Solidarität spricht es sich leicht. Die Kulturnewsletter der vergangenen Monate waren vollgestopft mit Mitgefühl und Solidaritätsbekundungen für die vielen Künstlerinnen und Künstler, die kein festes Anstellungsverhältnis besitzen und mangels Auftrittsmöglichkeiten arbeitslos zu Hause hocken. Doch wie können sich hochsubventionierte Häuser – Theater, Opernhäuser und Sinfonieorchester – in so einer Krise glaubwürdig solidarisch zeigen? Das ist schwerer getan als gesagt.
Gewisse subventionierte Betriebe haben gemerkt: Es gibt Zwischenwege im ökonomischen und künstlerischen Denken. Es gilt jetzt nicht einfach, zu warten, bis alles besser ist, es gilt jetzt, Lösungen zu finden. Da ist auch eine grosse Verantwortung: einerseits gegenüber dem Publikum, andererseits – und vor allem – gegenüber den Künstlern und Künstlerinnen.
Dass ein sehr gut gemeintes Solidaritätszeichen auch falsche Signale senden kann, erlebte das Schweizer Fernsehen vor einigen Wochen. Es wollte Künstlerinnen und Künstlern in einem Wettbewerb Sendezeit im Format «Kulturplatz» schenken. Die Szene wurde in einem Schreiben ermutigt, spektakuläre Ideen einzureichen. Die Antwort kam postwendend, aber anders als geplant: Die Künstlerinnen und Künstler erhielten den Eindruck, man nutze ihre Bedürftigkeit aus.
Drei ungleiche Institutionen tun sich nun hervor. Das Schauspielhaus Zürich, 39 Millionen Subvention, das Luzerner Sinfonieorchester (6,5 Millionen) und die Lokremise St.Gallen (Stiftung, u. a. mit Lotteriefondsgeld) wagen Vorstösse, die für viele andere grosse Häuser eine Anregung zum Aufwachen sein müssen.
Benjamin von Blomberg, Co-Intendant des Schauspielhauses Zürich, war es schon länger ein Anliegen, der Gemeinschaft etwas zurückzugeben. «Wir haben selten so stark gespürt, in welch privilegierter Lage wir uns als subventioniertes Theater befinden», sagte er dieser Zeitung. Nun will man sich revanchieren: Für die Reihe «Open Call Open Haus» dürfen (vorerst) Zürichs Künstlerinnen und Künstler aus den Bereichen Theater, Musik, Literatur, Tanz, Performance und Comedy einmalig den Pfauensaal bespielen.
Anstatt wie das Fernsehen SRF künstlerische Vorschriften zu machen, geht es lediglich um das Teilen von Ressourcen. Künstlerinnen und Künstler können sich mit einem Programm bewerben. Ausgewählt werden die Projekte vom Schauspielhaus, das die gesamte Infrastruktur zur Verfügung stellt. Der festgelegte Ticketpreis von 30 Franken wandert in die Tasche der Auftretenden. Vorerst sind vier Abende geplant. Das ist nicht viel, aber besser als nichts. Beim ersten Abend ist am 1. 12. das Duo Diener & Bachmann mit ihrem Stück «Die Abenteuer des Don Chilischote» Gast auf der Pfauenbühne.
Viele Abende mehr, ja ganze Tage bietet die St.Galler Lokremise an: Vorerst vom 1. 12. bis 23. 12. ist die leere Kunstzone mitsamt Bühne und Bestuhlung für 50 Personen zu haben inklusiv Streaming, Beamer, Sprachbeschallungssystem mit zwei Funkkanälen, betreut durch die Technik der Stiftung. Musik, Gesang, Tanz, Schauspiel, Comedy, Lesungen, Ausstellungen sind möglich, innerhalb des zeitlichen Rahmens darf auch dekoriert werden. Aber aufgepasst: Die Künstler und Künstlerinnen sind selber Veranstalter. Und die Veranstaltung wird live auf Youtube übertragen. Wer sich für den kulturellen Adventskalender anmelden will: Es gibt noch Platz.
Vier Abende, Begrenzung bis 23. 12., keine echte Gage? Es lassen sich Haare in der Suppe finden, gewiss. Und tatsächlich fühlt man sich als Musiker abgesicherter, wenn man beim Projekt «Solidarische Klänge im Orchesterhaus» des Luzerner Sinfonieorchesters (LSO) Aufnahme findet: Hier gibt es für freischaffende Musiker, die in der Schweiz wohnen, bis auf Weiteres eine gute Gage und den ganzen Topf mit der Kollekte von 50 Gästen. Dass mehr als ein paar Münzen drin sein werden, ist gewiss, sind die Konzerte doch gratis.
Start ist am 6. Dezember: Eine Handvoll Musiker und Musikerinnen beziehungsweise Ensembles wurden im Vorfeld angefragt. Nun aber soll sich das Treiben verselbstständigen: Wer auftreten will, meldet sich beim LSO, dann wird ausgewählt. Jede Woche gibt es mindestens zwei Konzerte. Numa Bischof, Intendant des Luzerner Sinfonieorchesters, weiss um seine Verantwortung: «Wir sind eine der wenigen Institutionen, die Kraft haben, etwas zu machen: Wir müssen jetzt Impulse setzen.»
Und er fährt fort in seiner emotionalen Rede, dass man eine Pflicht gegenüber der Hörerschaft habe, dass das LSO das Publikum wachhalten müsse. Das ist gut so, denn schliesslich ist das KKL geschlossen und das Orchester auf Stand-by.
Aber man hat auch eine Verantwortung gegenüber freien Musikern: «Wir im LSO und in anderen grossen Orchestern haben viele Sorgen, aber wir haben es immer noch besser als die Freischaffenden. Deren Karriere ist jäh unterbrochen: Sie können nicht auftreten – und kein Brot kaufen.»
Zugute kommt dem Orchester nun, dass man seit kurzem mit dem Orchesterhaus eine prächtige Spielwiese hat, die es erlaubt, Konzerte ausserhalb der Norm durchzuführen. Das gilt auch für die Zeit, in der Corona wieder bloss ein Bier ist. «Dort im Orchesterhaus können wir deklarieren, dass etwas Aussergewöhnliches passiert, da entsteht eine künstlerische Freiheit: Jetzt können wir das ausprobieren», sagt Numa Bischof.
Hinter den schönen Worten gibt es auch Überlegungen des Managers. Es gilt für Bischof, den Schaden zu minimieren: «Wir dürfen nicht abstürzen, wir müssen mit den Mitteln der Privaten, der Sponsoren und der öffentlichen Hand sorgfältig umgehen. Das Luzerner Sinfonieorchester hat keine freien Mittel, und wir können nicht auf Kurzarbeit gehen, bei Subventionsgebern Geld für uns beantragen – und dann das Geld für Freischaffende ausgeben. Wir müs- sen schadlos gehalten werden: Alles darüber hinaus wäre aber unanständig. Niemand soll für uns die Zeche bezahlen.»
Ordentliche Subventionen, Ausfallentschädigungen, Kurzarbeit – und dennoch für andere arbeiten? Die Kulturinstitute können nicht alles haben. Doch die Grossen haben Beziehungen– und die Kraft, etwas auf die Beine zu stellen. Und doch ist Vorsicht geboten: «Wir kommen den Künstlern entgegen, wollen helfen, aber unser Aufwand soll möglichst klein sein. Wir öffnen zwar das Haus und schauen, dass Musiker Geld erhalten. Wir machen es aber zu Selbstkosten.»
Aber der Betrieb wird für die Solidaritätskonzerte nicht hochgefahren. Numa Bischof dazu:
Mal helfen vielleicht die Freunde des Sinfonieorchesters, mal vielleicht die Musiker.
Oder auch Bischof selbst. «Angenommen, ein Ensemble will Schuberts Forellenquintett spielen, kann das LSO auch den Bassisten stellen», so Bischof. Eine minimale Vertragsarbeit und Finanzbuchhaltung muss allerdings professionell gemacht sein. Statt eines schicken Programms wird aber am Eingang bloss ein Zettel aufliegen.
Vier Stiftungen werden die Gagen finanzieren. Der Fokus liegt auf jungen Freischaffenden, aber man setzt keine Altersguillotine. «Wir sprechen oft von Jungen, aber auch ältere Musiker haben wegen Corona grosse Probleme. Wenn sie mit einem spannenden Programm kommen: nur zu, auch wenn der künstlerische Fördergedanken im Vordergrund steht.»
Fördern können auch Stars. Mit glänzenden Augen erzählt Numa Bischof, wie dieser Tage Klavierstar Rafal Blechacz im Orchesterhaus probte. Was lag näher, als den Sieger des legendären Chopin-Wettbewerbs 2005 anzufragen, ob er in der Reihe auftreten würde? Am 10. Dezember ist es so weit: Die Kollekte wird Blechacz den kommenden Musikern spenden. Und flugs hat die Solidaritätsreihe einen Hauch Glamour erhalten.
Luzerner Sinfonieorchester (Orchesterhaus, Kriens): ab 6.12. Onyx Trio; 10.12. Rafal Blechacz. Schauspielhaus Zürich (Pfauen): ab 1.12. Duo Diener & Bachmann: «Die Abenteuer des Don Chilischote». Lokremise St.Gallen: ab 1.12.