Eine Gans kriegt Hühnerhaut

So sieht gelingende Integration aus: Frauke Jacobi macht aus dem DDR-Klassiker «Die Weihnachtsgans Auguste» ein witziges St. Galler Wintermärchen in Mund- und Schnabelart – das neue Weihnachtsstück am Figurentheater.

Bettina Kugler
Drucken
Schöne Bescherung bei Familie Löwenhaupt: Ein Braten im Strickpullover – zusammen mit Seraina Keller, Lukas Bollhalder, Gerda, Peterli und Sebastian Ryser (von links). (Bild: Urs Bucher)

Schöne Bescherung bei Familie Löwenhaupt: Ein Braten im Strickpullover – zusammen mit Seraina Keller, Lukas Bollhalder, Gerda, Peterli und Sebastian Ryser (von links). (Bild: Urs Bucher)

ST. GALLEN. Nein, so hat sich Luitpold Löwenhaupt die frohen Festtage nicht vorgestellt: mit Aufstand im Kinderzimmer; mit einer Ehefrau, die sich weigert, ihre Küchenpflichten zu erfüllen, und einer schnatternden Hausgenossin, die eigentlich nur ein paar Wochen im Keller auf das Jenseits warten sollte. Und doch bald beim Peterli unter der Bettdecke schlafen darf.

«Aber etwas muss man doch fürs Herze tun!», davon ist Löwenhaupt überzeugt, als er die lebende Gans anschleppt – gedacht als Weihnachtsbraten in spe, und nicht als Kuscheltier. «Die Weihnachtsgans Auguste» wäre freilich kein vergnügliches Weihnachtsmärchen, wenn es nicht anders käme, als es sich ein Opernsänger mit knurrendem Magen in seinen gefrässigen Träumen ausgemalt hat. 1946 erschien das Buch von Friedrich Wolf; die «Fresswelle» war noch in weiter Ferne und sowieso eine westdeutsche Angelegenheit.

Löwenhaupt, ein ganzer Kerl

Schnell wurde die Geschichte zum Vorleseklassiker der DDR, samt Hörspiel und Fernsehfilm. Auch Frauke Jacobi, Leiterin des Figurentheaters St. Gallen, ist damit aufgewachsen und bringt Wolfs (noch sehr bürgerlich geprägtes) Märchen nun endlich in die Schweiz. In Mundart – was viel beiträgt zur charmanten Integration der ursprünglich aus Dresden stammenden Familie Löwenhaupt und ihrer Gans.

Am Mittwoch hatte «Die Weihnachtsgans Auguste» als erste Neuproduktion für Kinder in dieser Spielzeit Premiere; noch nicht vor ausverkauftem Haus. Auguste ist nun mal kein Heidi und kein Schellenursli, kein Findus oder Hotzenplotz. Mit ihrem unbedingten Lebenswillen aber wird sie sich zweifellos schnell in die Herzen des hiesigen Publikums spielen.

Zumal ihr mit Lukas Bollhalder als Luitpold Löwenhaupt ein ganzer Mann, ein echter Held der Opernbühne an den Kragen will: mit viel Pomade frisiert, den weissen Schal um die sensiblen Stimmbänder gelegt, probiert er es zu Hause mit klaren Ansagen. Aber ach! Da will keiner so recht auf ihn hören, nicht einmal Peterli. Trotzdem: Löwenhaupt, den kann keine Figur spielen.

Das braucht einen Kerl wie Bollhalder, dem man von Anfang an den Gänsemörder nicht recht zutraut. Seraina Keller spielt seine Gattin – und das Peterli. Die Erwachsenen in Menschengrösse, die Kinder als Figuren: Das hat bereits in «Emil und die Detektive», ebenfalls von Frauke Jacobi inszeniert, gut funktioniert, und es bewährt sich auch in Wolfs Weihnachtsgeschichte.

Behutsam modernisiert

Auguste ist die einzige Handpuppe (Figuren: Priska Boos, Johannes Eisele), bis zum Tag X schön plustrig weiss gefiedert, mit leuchtend rotem Schnabel, den Sebastian Ryser munter in Bewegung hält. Ohnehin ist viel Tempo im Spiel, sowohl bei den Schauspielern in Lebensgrösse als auch beim Schattentheater im Keller, das in einem Türausschnitt zu sehen ist. Oder beim Spaziergang von Auguste und Peterli durch St. Gallens Strassen.

Augenzwinkernd deklariert das Bühnenbildner-Team die Gans und ihre Familie als Einheimische. Frauke Jacobi hat die Geschichte zudem sanft modernisiert und ohne grosse Eingriffe in die Gegenwart geholt. Es genügt schon, «Gerda», Peterlis grosse Schwester, zur obercoolen Dreizehnjährigen zu machen, die Weihnachten am liebsten ausfallen lassen würde, weil «das alles so voll peinlich» ist.

Peinlich wäre es wohl auch, das von einer Handpuppe spielen zu lassen. Also gibt es die Kinder fotografiert auf Karton aufgezogen, mit Kopfhörern oder niedlicher Strähne in Echthaar: solche Details und die Musik von Stefan Suntinger machen das Stück liebenswert und sorgen für fröhliche Vorweihnachtsstimmung. Wie Wolf es will, auch für Hühnerhaut am rechten Ort. Und wenn den Luitpold nicht wieder einmal der Hunger packt, dann lebt Auguste noch in den nächsten Spielzeiten.

Nächste Vorstellungen: Sa, 12.12., 14.30 Uhr, So, 13.12., 11 + 14.30 Uhr