Ein Kinderspiel

Barbara Weber inszeniert Brechts «Der gute Mensch von Sezuan» am Theater Neumarkt. Sie verzichtet auf die moralische Unterscheidung zwischen Gut und Böse und erzeugt dadurch Komik. Günther Fässler

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Diese kleine Theaterwelt ist sehr gut. Dass die grosse Welt schlecht sein soll, haben selbst die Götter mitbekommen. Ungläubig steigen drei herab – das ist die Ausgangslage von Brechts Parabel (1943) –, um die Welt zu prüfen: Wenn wenigstens ein guter Mensch sich findet, «kann die Welt bleiben, wie sie ist». Wenn nicht… Die Folge wagen diese Götter – Tabea Bettin, Vivien Bullert, Alexander Seibt – nicht zu denken, sie sind nämlich eisern entschlossen, nur das Gute zu sehen, damit sich nichts ändern muss. Das ist in der Inszenierung von Co-Direktorin Barbara Weber überaus komisch, weil sie die moralische Scheidung von Gut und Böse nicht kennt.

Eine halbe Sache

Denn es ist paradiesisches Theater vor dem Sündenfall. Das Paradies liegt bekanntlich in der Kindheit, das Spiel am Theater Neumarkt ist ein Kinderspiel. Wir sitzen zwischen Variété-Tischlämpchen auf zusammengewürfelten Sesseln in der Ausstattung von Sara Giancane: halb Tingeltangel, halb chinesisches Kinderzimmer (viel Bambus), halbfertig, inklusive Bühnchen (halb Garderobe) und halben Musiken (Michael Haves buchstabiert Paul Dessau). Kurz, eine halbe Sache. Die andere Hälfte ist das Publikum. So ganz ist man selten, der Applaus war entsprechend stark.

Das Vergnügen beginnt mit Wang, der bei Regen Wasser verkaufen muss. Er (Alicia Aumüller) ist hier eine Zauberin an Krücken. Sie zaubert die Behinderung einfach weg. Alles funktioniert hier so: unglaublich und holterdiepolter. Die Spieler musizieren fein und leise und singen laut falsch, wechseln die Rollen im Perückenumdrehen, verwechseln Rolle und Backstage-Tratsch, sind Ausbeuter und Ausgebeutete; der Lebensmüde (Malte Sundermann) und der Karrierist sind derselbe und die Spielkiste unerschöpflich.

Brechts Parabel, eine endlose Rechnerei in Silberdollar, eine Auf- und Absteigerei, läuft als Erzählspur einfach mit. Man weiss immer, wo im Stück man ist, aber man versteht nicht mehr: Wo ist das Gute, wo das Schlechte – wenn gute Schauspieler schlecht spielen und das naiv-unbeholfene Spiel sich immer zu helfen weiss?

Ein anderes Theater

In dieses kinderleichte Abbild der grossen Welt ist die Geschichte des guten Menschen von Sezuan, Shen Te, eingelassen, die als Shui Ta kapitalistisch böse ist. Franziska Wulf spielt die Hosenrolle und ein Theater, in dem Gut und Böse klar zu unterscheiden sind. Ihre Shen Te ist gut. Sie ist ein leidfähiger Mensch, eine Persönlichkeit. Als Shui Ta, als skrupelloser Kapitalist ist Wulf nur Theater: aufgeklebter Schnauz, gestohlene Männergesten, verlogen.

Verlogen bis zum Schluss vor dem Göttergericht, als Shui Ta nicht die Maske fallen lässt, wie bei Brecht, sondern behauptet, er sei die gute Shen Te. Das ist der Unterschied. Alles andere ist Kapitalismus. Oder Theater?