Vier Ostschweizer Dichterinnen spüren in «Lichtungen» ihrer Wahrnehmung nach. Und ein grosser Grieche schenkt uns in seiner schlichten Sprache berührende Bilder aus dem Leben am Rande Europas.
Wie die Buchumschläge passen: Grün auf Hellblau für «Lichtungen» mit Naturbildern von Claire Bischof Vetter, Erica Engeler, Christine Fischer und Maria Gertrud Macher; Sonnengelb auf Sandgrau für «Drei geheime Gedichte» von Giorgos Seferis. Wie sie zueinander passen, die beiden Lyrikbände aus Beat Brechbühls Waldgut-Verlag. Wie die Gedichte uns anrühren und nicht mehr loslassen, bis wir sie am Sonntag auch gesprochen hören können. In St. Gallen, wo die vier Autorinnen leben.
Ein zartes Geleitwort hat ihnen Ruth Erat gewidmet, von der zuletzt die Schreib- und Zeichenfäden «Zum Trocknen aufgehängte Flügel» bei Waldgut erschienen sind. «Was wir lesend erfahren, ist die Bergung der Alltagsmomente», schreibt sie und: «Was entsteht, ist Nachsinnen.» Ruth Erat nennt die vier Autorinnen «Wahrnehmungsexpertinnen», deren Lyrik sich der Flut der Hype- und Empörungssprache entgegenstemmt. Wie recht sie hat. In ihrem letzten Satz fragt sie: «Ob wir das Andacht nennen können – dürfen?» Und bezieht sich auf Claire Bischof Vetter: Ein Baum und ich / halten Andacht.
«In den Worten der Atem» überschreibt Claire Bischof Vetter (1948) ihre gut zwei Dutzend Gedichte, die im Winter beginnen, das Jahr und das Leben durchschreiten, die Tod und Kindheit streifen, die Zeit und das Nichts. Ganz genau schaut Claire Bischof Vetter hin: Gewahr werden / dessen was zählt, schreibt sie. Haben Buchstaben eine Seele? fragt sie. Sind sie da / um Zeit und Liebe / auszudehnen?
Prosaischer verknappt muten die Gedichte von Erica Engeler (1949) an. Bisweilen schwingt leise Wehmut mit, wie sie Menschen beobachtet, die Sommerschwüle, einen Krähenschwarm oder den jagenden Graureiher. Das erste Gedicht: Oben Himmel, unten Himmel, / sagt das Orakel, dazwischen, / flüchtig eingewurzelt, / etwas wie offenes Glück, / das ahnt, oben ist unten, / hell ist auch dunkel. Ein anderes, aphoristisch verknappt: Sie fallen wie Regen / und wie Regen bleiben sie aus. Eine «Meisterin der ‹Hellhörigkeit› für Worte und Dinge» nannte sie Peter Surber in «Saiten».
Auch Christine Fischer (1952) wandert schreibend durch Tage und Jahreszeiten, durch die Stadt mit ihren Fenstern und Bahnhöfen. Sie fühlt sich heiter: Lieber Gott / mach mir diesen Tag / zum Honigtopf / Amen. Sie sitzt beim Frühstück: Die Zeit – / ein Schluck Kaffee. Sie riecht Schlüsselblumen, empfindet ungestüme Liebe / für mein Spiegelbild im Fensterglas; sie erfindet Wolken aus Stein oder Flugberge; sie fühlt sich altersmild: Einfach am Leben zu sein / es reicht, es darf / die Frage ohne Antwort bleiben. Und schliesst in Zuversicht: Jeder Augenblick / ein Same / jeder Augenblick / ein Kern // Der eine oder andere / schlägt Wurzel / wächst / wird Welt.
Der Natur innig verbunden ist auch Maria Gertrud Macher (1945). Auch sie sieht genau hin, beobachtet präzise, sieht all das scheinbar Unscheinbare um sich herum, webt aus wenigen Wörtern ganze Welten: am morgen ist / die ganze welt / totholz. Oder: schwarze flügel / künden den tag an / krähend bricht / die nacht entzwei. In Weimar hört sie, Goethe sei noch da / allumfänglich, an Lichtmess hört sie die Koloratur einer Amsel über dem Schneerest: ein glücksmoment. Geschickt bewegt sich Maria Gertrud Macher zwischen Ernst und Humor: neue vorhänge / fremd hangen sie / fadenscheinig / vertrautheit / wär anders.
Was die lyrischen Lichtungen besonders schön macht: die Illustrationen der Künstlerin Regula Engeler (1973). Fünf traumähnliche Aufnahmen mit der Lochkamera gliedern die schmale, dichte Anthologie: ein lichterfüllter Wald als Frontispiz gegenüber der Titelseite und je ein zartes Bild zu den vier Autorinnen.
Sein letzter Gedichtband «Drei geheime Gedichte» zeigt Giorgos Seferis (1900–1971) in einem Schaffensumbruch Mitte der Sechzigerjahre. Für die zweisprachige Ausgabe in der Waldgut-Reihe «lektur sappho & hafis» neu übertragen und mit Anmerkungen versehen hat die Gedichte Evtichios Vamvas.
Die eigentlich «privaten Gedichte» zeugen von Zweifel, Einsamkeit, Melancholie. Da heisst es Der Schnee bedeckt die Welt oder Alle haben Träume, / dennoch gesteht es sich niemand ein oder Dein Leben ist, was du gegeben hast, / diese Leere ist, was du gegeben hast, / das weisse Blatt Papier.