«Dirigieren ist kein Vergnügen»

Gerade eben hat Teodor Currentzis am Zürcher Opernhaus Giuseppe Verdis Oper «Macbeth» aus der Taufe gehoben. Im Gespräch vor der Premiere zeigt sich der gebürtige Grieche als ein Mann mit einer Mission.

Tobias Gerosa
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Wie nackt auf der Bühne: Markus Brück als Macbeth am Zürcher Opernhaus. (Bild: Opernhaus Zürich/Monika Rittershaus)

Wie nackt auf der Bühne: Markus Brück als Macbeth am Zürcher Opernhaus. (Bild: Opernhaus Zürich/Monika Rittershaus)

Kommt er um die Ecke zum Bühneneingang des Opernhauses, würde man im Schlaks mit Kopfhörern und Turnschuhen nicht den polarisierenden Dirigenten vermuten, der Teodor Currentzis mit seinen aufsehenerregenden Mozart- und jüngst Tschaikowsky-Aufnahmen ist. Jetzt dirigiert er Verdis Oper «Macbeth» (siehe Text rechts).

Herr Currentzis, was interessiert Sie am «Um-papaa» von Verdi?

Teodor Currentzis: «Um-papaa» kann die Wahrheit sein. Es geht nie ums Material, sondern immer um die spirituelle Idee dahinter, die man in jeder Aufführung beleben muss.

Egal, wie das Material ist? Also auch in einem Rocksong?

Currentzis: Ein Rocksong kann besser sein als eine Mozart-Sinfonie, was die höchst qualitative Musik überhaupt ist. Viel interessanter sind die individuellen Abweichungen, und dass Menschen mit Feuer bei der Sache sind. Darum geht alles.

Bei einer Opernproduktion müssen dann aber 150, 200 Leute brennen.

Currentzis: Das ist wie bei Prometheus: Ich will den Menschen das Feuer bringen. Mit Routine geht das nicht, es muss um Leben und Tod gehen. Nur schöner Sound ist nichts. Glauben Sie mir, Dirigieren ist kein Vergnügen, sondern mehr Stress und Mühe.

Und Sie tun sich das an, weil Sie eine Mission haben…

Currentzis: Natürlich, ich bin ein Missionar, ein Ideologe für diese spirituelle Idee. Es ist ja erst seit 200 Jahren, dass man Musik so aufführt, wie wir es tun. Dabei ist Musik immer Ritual, festgelegte Handlungen und Bewegungen, um eine tiefere Idee zu vergegenwärtigen. Auch ich als Dirigent mache festgelegte Bewegungen, die ich ja eigentlich nicht verstehe.

Oper ist Musik und Theater. Wie stehen die beiden zueinander?

Currentzis: Was auf der Bühne läuft, ist mir sehr wichtig. Bevor ich ein Opernengagement annehme, will ich das Konzept des Regisseurs kennen.

Sie betonen immer wieder den spirituellen Gehalt von Kunst. Aber junge Leute gehen selten in die Oper.

Currentzis: Leider läuft alles übers Geld. Bei uns in Perm, wo ich mit meinem Ensemble lebe und arbeite, kostet eine Opernkarte keine 10 Euro, da kommen viele Junge und auch Arbeiter. Da bin ich Anarchist, da steckt viel Bakunin in mir. Aber wenn alles kapitalistisch durchrationalisiert ist, kann Kunst nicht bestehen. Vielleicht müsste man diktatorisch die Musik mal generell verbieten. Natürlich würden die Menschen dann geheim, bei geschlossenen Vorhängen, trotzdem singen, spielen und hören – und damit den Wert von Musik wieder erkennen.

Das ist jetzt sehr theoretisch…

Currentzis: Praktisch ist die Dezentralisierung ein Weg. Wenn Sie im 19. Jahrhundert reisten, kamen Sie durch Dörfer, die alle eigene Tänze, Lieder, Lebensmittel hatten. Aus diesen lokalen Traditionen entstanden Genies wie Mozart. Wo ist Mozart von heute? Alles ist überall gleich. Warum stiftet Zürich, zusammen mit ein paar Sponsoren, nicht ein altes Kloster, wo einfach Kunst betrieben wird, wo die lokalen Traditionen wie Lieder, Dialekte gepflegt werden?

Das klingt jetzt aber nicht mehr anarchistisch, sondern konservativ. Haben Sie Ihr «musikalisches Kloster» darum in Russland?

Currentzis: Konservativ in einem spirituellen Sinn schon, aber nicht im politischen. Ich kritisiere die Politik in Russland und von Putin oft, aber ich liebe dieses Land auch. Es gibt immer mehrere Wahrheiten, und was zwischen Russland und Europa läuft oder auch bei der Zerstörung Griechenlands durch die EU, ist auch ein Propagandakrieg um die Deutungshoheit.

Teodor Currentzis Dirigent (Bild: Sony)

Teodor Currentzis Dirigent (Bild: Sony)