Liun & The Science Fiction Band mit der Schweizer Sängerin Lucia Cadotsch präsentiert spektakulären, futuristischen Synthie-Pop.
Es geschah vor 7 Jahren irgendwo im Brandenburger Wald. Dorthin, in eine abgelegene Hütte, hatten sich die Schweizer Sängerin Lucia Cadotsch und der Freiburger Multi-Instrumentalist Wanja Slavin zurückgezogen, um ihre Visionen in einem gemeinsamen Projekt aufzugleisen und zu bündeln. «Wochenlang haben wir experimentiert, gepröbelt und komponiert, um Digitales mit Analogem, die Welt der Synthesizer mit akustischen Sounds zu vereinen», sagt Cadotsch.
Entstanden ist ein musikalisches Labyrinth aus vertrackten Beats, ungeraden Metren. Ein Universum von futuristischen Sounds, Flächen und dunklen Bässen, verschachtelten Synthie-Loops und Melodien, die sich überlagern und in die Irre führen. Dazu immer wieder akustische Instrumente, Saxofone und Flöten. Echte Cellos, die mit Streichern und Harfen aus dem Rechner anbandeln.
Mitten aus dem Zentrum ragt die lakonische, kühle Stimme der Sängerin mit Bündner Wurzeln. In ihrer Schlichtheit wirkt sie als Kontrast zum verspielten, musikalischen Kontext. Cadotsch ist keine Shouterin. Ihr Gesang ist direkt, vibrato- und schnörkellos. «Mein Gesang orientiert sich mehr an der Sprache als am Kunstgesang», sagt sie. Dabei hat es ihr vor allem Nina Simone angetan, aber auch die Einfachheit des Folkgesangs.
Kennen gelernt haben sich Cadotsch und Slavin in Berlin, wo die Schweizer Sängerin schon seit 17 Jahren lebt. «Wir sind schon lange befreundet und teilen die musikalischen Vorstellungen», sagt Cadotsch über ihr Alter ego Slavin. Seit jenen Tagen im Brandenburger Wald ist viel passiert.
Beide haben inzwischen einen «Echo Jazz» (die deutschen Grammy) gewonnen. Slavin 2014 als bester Instrumentalist mit dem Trio Slavin-Eldh-Lillinger und Cadotsch 2017 als beste Sängerin mit dem Projekt «Speak Low». Es kam zu weiteren Sessions mit einer Reihe von Gästen, das Projekt blieb lange Fiktion. Zu beschäftigt, zu gefragt waren sie, war die Science Fiction Band.
Live werden die beiden von Dan Nichols an den Synthesizern und Ludwig Wandiger (Schlagzeug) unterstützt, die sich beide einen Namen in der Welt der experimentellen elektronischen Musik gemacht haben. Die Musik klingt denn auch nach futuristischem Synthie-Pop.
Die wenigsten würden diesen Sound als Jazz bezeichnen. Egal, erfrischend neu und spannend ist sie alleweil. Cadotsch selbst nennt sie «Progressive Groove Music», legt aber grossen Wert darauf, dass viel improvisiert werde, dass sich die Stücke ständig verändern.
Slavin und Cadotsch sehen sich als Jazzmusiker und Jazz als Teil der Popkultur, die sich längst nach allen Seiten geöffnet hat. In ihrem hochaktuellen, lebendigen Jazzbegriff hat vieles Platz. Ihr Sound sei nicht nur in die Zukunft gerichtet, sondern speist sich auch aus der Jazz-Tradition.
Dabei nennt sie auch «Science Fiction», das Album von Free Jazz-Pionier Ornette Coleman aus dem Jahr 1972. Die Science Fiction Band pflegt die Verspieltheit des Jazz gleichermassen wie die Flächen und Hooks des frühen Synthie-Pop und verbindet, was lange als unvereinbar galt.
Liun & The Science Fiction Band: Time Rewind (Yellowbird). Erscheint morgen Freitag.