Die unbeugsame Sphinx

Die deutsche Schriftstellerin Brigitte Kronauer ist im Alter von 78 Jahren verstorben. Das grosse Publikum hat die Büchnerpreisträgerin nie erreicht - dafür das kleine umso mehr beglückt.

Peter Henning
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Sie war nie eine Verfechterin des graden, schnell in der Phantasie des Lesers abrollenden Plots im Stile Hemingways oder Faulkners – sondern fand ihre literarische Erleuchtungen bis zuletzt im Schreiben verschlungener, mit Vorliebe den Schreibprozess selbst mit reflektierender Sätze.

Das trug der 1940 in Essen geborenen Brigitte Kronauer früh den Ruf einer unbeugsamen literarischen Sphinx ein, die in ihren bisweilen ingenieurhaft genau anmutenden Texten – angefangen bei ihrem sogleich vielbeachteten Prosa-Debüt «Frau Mühlenbeck im Gehäus» von 1980 – bewusst auf eine hoch-artifizielle Reflexionsprosa setzte, um der sie umtosenden Wirklichkeit damit habhaft zu werden.

Brigitte Kronauer schrieb ingenieurhaft anmutende Texte. (Bild: Keystone)

Brigitte Kronauer schrieb ingenieurhaft anmutende Texte. (Bild: Keystone)

Sich selbst sah die nun im Alter von 78 Jahren verstorbene Verfasserin vielfach ausgezeichneter Arbeiten in der Tradition Jean Pauls, welcher dereinst die traditionelle Romanform sprengte – und in eine beredte literarische Formlosigkeit überführte. Ihre eigenen Texte richtete sie bis zuletzt daran aus. Das Resultat waren zahlreiche, sich an ein literarisch vorgebildetes Publikum richtende, in sich verspiegelte Sprachgebilde – metaphern-wild und hochmusikalisch. Der Band «Musik und Gebirge» von 2004 etwa veranschaulichte dies eindrucksvoll.

Keinen Anspruch einer Bestseller-Karriere

«Eine Bestsellerkarriere war von mir nie geplant», erklärte sie einmal, «denn eine Alternative zu meiner Art des Schreibens war für mich immer undenkbar. Und die richtet sich eben an wenige.»

Tatsächlich zelebrierte sie ihr trotz aller stilistischen Strenge gern ausuferndes Schreiben als eine Art Suche nach den Erleuchtungen fern der ausgetretenen Erkenntnis-Wege, nämlich im Abseitigen und scheinbar Nebensächlichen, dem sie sprachlüstern seine Geheimnisse entlockte.

Nach einem Pädagogikstudium in Göttingen siedelte sie Mitte der Siebzigerjahre nach Hamburg um, wo sie erste längere Prosaarbeiten schrieb – und jenen, ihr gemässen Schreibstil ausbildete, der sie zu einer Sprachschöpferin von Rang werden liess – und ihr 2005 den renommierten Büchner-Preis eintrug.

«Kronauer reflektiert unsere Gegenwart in verrückten Bilderwelten», schrieb ein Kritiker einmal über sie. Das ganz grosse Publikum hat sie damit nie erreicht – das kleine aber wiederkehrend auf exquisite Weise beglückt. Zuletzt mit dem Band «Der Scheik von Aachen» 2016.

Ihre quer zum Mainstream liegende Stimme wird fehlen.