Theater
Die treue, reiche Chefin: Bilanz der Intendanz von Barbara Frey am Zürcher Schauspielhaus

Valeria Heintges
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Barbara Frey setzte auf Altbewährtes. Die Gagen waren im Vergleich phänomenal.

Barbara Frey setzte auf Altbewährtes. Die Gagen waren im Vergleich phänomenal.

Barbara Freys zehn Jahre als Intendantin wiegen schwer. 1,5 Kilo bringt das Coffeebook «Schauspielhaus Zürich 2009–2019» im Verlag Theater der Zeit auf die Waage, mit Hochglanzbildern und gewichtigen Worten. Aber vielleicht will man die Sache doch etwas kritischer sehen als die Damen und Herren im vom Schauspielhaus bezahlten Auftragswerk.

Das erwähnt etwa mit keinem Wort den Streit um den Pfauen und damit die grösste Hypothek, die Barbara Frey ihren Nachfolgern Nicolas Stemann und Sebastian Blomberg hinterlässt. Hier daher der Versuch einer Bilanz in sieben Thesen.

These Nummer 1: Geld war nie das Problem

49,2 Millionen Franken hatte das Schauspielhaus in der Spielzeit 2017/18 zur Verfügung. Das ist viel Geld, das man im Haus nutzte, um die Kunst gross herauskommen zu lassen. Besucher bekamen etwas geboten für ihr Ticket, für das sie auch einen stolzen Preis bezahlt hatten. Man leistete sich opulente Bühnenbilder, vor allem im Schiffbau, und exquisite Gäste, auch noch in den Gesprächsreihen. Die Gagen sind für Schweizer Verhältnisse grosszügig. Im europäischen Vergleich sind sie phänomenal.

These Nummer 2: Grosse Namen waren sehr wichtig

Viele Künstler, die hier Station machten, tragen grosse Namen. Man musste nur im Theatersessel sitzen bleiben und sah, wer und was aktuell im deutschsprachigen Theater von sich reden macht. Etwa das Volksbühnen-Trio Frank Castorf, Herbert Fritsch und René Pollesch, die alle regelmässig in Zürich gearbeitet haben. Ebenso Sebastian Baumgarten, Alvis Hermanis, Dusan David Parizek, Stephan Kimmig oder die Truppe Rimini Protokoll, um nur die zu nennen, die immer wieder zu sehen waren.

These Nummer 3: Diese Intendantin ist treu

Wen Barbara Frey mochte, der durfte wiederkommen. Zum Stamm fester Regisseure gehörte Stefan Pucher, dessen Arbeiten wie «Tod eines Handlungsreisenden», «Woyzeck» oder «Ein Volksfeind» auch wegen ihrer Bühnenbilder im Gedächtnis bleiben. Sebastian Nüblings überzeugte mit kraftvollen und energiegeladenen Inszenierungen wie «Sweatshop. Deadly Fashion», «Der diskrete Charme der Bourgeoisie» oder zuletzt «Die Verlobung von St. Domingo». Bastian Kraft landete Coups mit «Die Zofen» und «Andorra».

Zürichs erste Intendantin förderte auch viele Frauen, darunter Daniela Löffner, stark mit «Kinder der Sonne» oder «Nathan der Weise». Und vor allem Karin Henkel, die von «Viel Lärm um nichts» über «Elektra», «Amphitryon und sein Doppelgänger» bis zu «Beute Frauen Krieg» einige der besten Inszenierungen der letzten Jahre erarbeitete. Bildmächtig, aber nicht überladen und voller zwingender Ideen, die einen Abend tragen.

These Nummer 4: Das Ensemble war gut, die Gäste besser

Karin Henkels Arbeiten merkte man an, dass ihre Schauspieler sie lieben. Carolin Conrad ragte nicht zuletzt bei ihr aus dem Ensemble heraus, das gut war, aber nicht grossartig. Man mag Robert Hunger-Bühler nennen, auch wenn der sich oft gleich blieb, man muss Markus Scheumann nennen, der in Barbara Freys «Zerbrochenem Krug» einen phänomenalen Dorfrichter Adam auf die Bühne zauberte.

Barbara Frey engagierte sich zu wenig für Erneuerungen, Überraschungen, Entdeckungen.

Aber zu sehr war klar, wer grosse, wer kleinere Rollen spielen würde. Siggi Schwientek als Onkel Wanja war eine der Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Zudem zeigten die Gäste, die man sich leistete, wie Corinna Harfouch, Sophie Rois, Martin Wuttke, Wolfram Koch oder Robert Bock, dass in Zürichs Ensemble noch Luft nach oben war.

These Nummer 5: Nachwuchsförderung war nicht so wichtig

Die Intendanz Frey setzte auf Eingekauftes. Oder auf Altbewährtes wie Werner Düggelin, Stefan Bachmann, Christoph Marthaler oder Ruedi Häusermann. Kehrseite der Reichtums-Medaille: Sie engagierte sich zu wenig für Erneuerungen, Überraschungen, Entdeckungen. Kein Name fällt einem ein, von einem Regisseur oder einer Regisseurin, die hier entdeckt und aufgebaut wurde, um dann in die Welt zu ziehen. Wer neu war, durfte sich in der Kammer des Pfauen versuchen, kam aber über die Bühne im Keller nur selten hinaus.

These Nummer 6: Literatur war am allerwichtigsten

Wichtiger als die Umsetzung, wichtiger auch als die politische Aktualität war für Barbara Frey die Literatur und mit ihr zeiten-unabhängige Themen. Viele Klassiker hob sie selbst auf die Bühne, in zwei Arbeiten pro Saison. Die waren im guten Fall genau und von zwingendem Rhythmus, ein Fest für Schauspieler wie «Die drei Schwestern» oder «Der zerbrochene Krug». Im weniger guten rutschten sie über das Bedeutungsschwangere hinaus in Länge und Langeweile.

These Nummer 7: Zürich ist ein schwieriges Pflaster

Das Theater in Zürich ist wichtig, es hat international einen Namen. Aber ob Theater für Zürich wichtig ist, daran scheiden sich die Geister. Sehr politisch mag man es nicht, jedenfalls nicht zu deutlich. Will man nicht darüber nachdenken, woher er kommt, der Reichtum in einer der teuersten Städte der Welt? Will man sich weniger über spezifische, lieber über allgemein-menschliche Dinge den Kopf zerbrechen?

Was ist es, das Basel so viel mehr zur Theaterstadt macht? Dass dort so viele Karrieren begannen?

Wenn nein, was ist es dann, das Basel so viel mehr zur Theaterstadt macht? Dass dort unter Baumbauer so viele Karrieren begannen und jetzt unter Andreas Beck wohl wieder beginnen werden? Wenn Nicolas Stemann und Sebastian Blomberg darauf eine Antwort finden, werden sie nachts sehr viel ruhiger schlafen können.