Bisher stand Martina Hügi mit ihren Texten jeweils nur kurz auf der Bühne. Jetzt gibt es die 34-Jährige abendfüllend.
Sie schiesst gerne scharf gegen den Thurgau. «Mein Dialekt ist ein Verhütungsmittel»: Diesen Satz sagt Martina Hügi in fast jedem ihrer Auftritte. Die 34-Jährige ist in Tägerwilen aufgewachsen, und diese Kindheit und Jugend im Kaff hat Hügi geprägt. Heute ist sie Poetry-Slammerin und Kabarettistin und nutzt die Erfahrungen von früher für selbstironische Pointen auf der Bühne. «Es gibt auch Schönes im Thurgau. Zum Beispiel Konstanz», sagt sie dann. Oder: «Der einzige Lieferdienst ist die Spitex.»
Vielen dürfte ihr Auftritt bei «Giacobbo/Müller» vor ein paar Jahren in Erinnerung geblieben sein. Zusammen mit der Slampoetin Lara Stoll sang Hügi «Oh Thurgau, du Heimat, wie bist du so schön!», danach krümmte sich Stoll auf dem Boden und mimte ein Spermium, während Hügi die Aussprache des Thurgauer «A» in breitestem Dialekt vorführte, anhand von Wörtern wie «Ramadan» oder «Afghanistan».
Heute wohnt Hügi in Winterthur, und auch sonst hat sich bei ihr einiges geändert. Ihre Auftritte sind souveräner geworden, sie hält sich nicht mehr wie früher verkrampft am Textblatt fest, sondern agiert lustvoller und selbstbewusster. Jetzt gerade wagt sie den Schritt von der Poetry-Slammerin zur Kabarettistin und tritt mit ihrem ersten abendfüllenden Soloprogramm «Delirium» auf. Und nicht zuletzt scheint ihr Dialekt allmählich seine Verhütungswirkung zu verlieren. Ein leichter Zürcher Einschlag ist jedenfalls nicht zu überhören.
Hügi ist eine aufgeweckte Gesprächspartnerin und hat in ihren Interviewantworten immer die passende Pointe parat. Spricht sie über Paare, sagt sie: «Sich möglichst selten zu sehen, tut einer Beziehung gut.» Und zu ihrer Arbeit als Heilpädagogin: «Ich mag diesen Job. Die Zeit geht schnell vorbei, zumindest für mich.»
Um den Unterschied zwischen einem kurzen Poetry-Slam-Auftritt und einem 90-minütigen Kabarettabend zu veranschaulichen, kommt sie aufs Essen zu sprechen:
«Slam ist wie Apéro. Man kann probieren, wird aber nicht satt.»
Ein Kabarettprogramm hingegen sei wie ein Fünf-Gänge-Menü. «Da kann ich mich austoben, von der Vorspeise bis zum Dessert.» Allerdings bedeutet das für die Köchin auch mehr Arbeit. In ihrem «Delirium»-Programm muss sich Hügi denn auch vielseitiger zeigen denn je. Sie trägt nicht mehr nur Texte vor, sondern sorgt zum Beispiel mit Buchstaben für Abwechslung, die sie auf der Bühne zu Wörtern stapelt.
Zudem singt sie jetzt auch: Den Abzählreim «Zehn kleine Pädagogen», ein Lied über den Kampf mit der Waage, und den «Strueme Blues». Hügi begleitet sich dabei selber auf einem elektronischen Mini-Piano. «So sind die Erwartungen an meine pianistischen Qualitäten tiefer, als wenn ich mich an einen Flügel setzen würde», sagt sie und grinst. Die Thurgauer Witze kommen in ihrem Soloprogramm immer noch vor, doch ist Hügi beim Dialekt flexibler geworden. Sie imitiert jetzt auch Berndeutsch und sogar etwas Sächsisch.
Ihre Pointen findet Martina Hügi im eigenen Alltag. «Was mich beschäftigt, beschäftigt auch viele andere Leute.» Als Kabarettistin macht sie sich Gedanken über Beziehungen und über Fitness, sie spielt mit dem Jargon aus der Heilpädagogik («Mein Ex-Freund hat seinen Förderbedarf nicht eingesehen»), und witzelt immer wieder über sich selbst.
«Delirium», der Titel des Programms, sei dabei eine Anspielung auf die «konstante Überforderung im Leben», wie sie sagt. Diese Überforderung kenne sie, seit sie vom Dorf in die Stadt gezogen sei und dort im Supermarkt plötzlich aus 20 verschiedene Kaffeesorten wählen musste.
Am Schluss des Interviews zieht sie aus der Tasche ein paar Postkarten, die sie seit neustem an ihren Auftritten verteilt. Mit handgeschriebenen Sprüchen wie «Steh auf dich statt auf die Waage». Solche aufbauenden Botschaften möchte sie ihrem Publikum auf den Weg geben. «Wenn sich die Leute nach meinem Auftritt unterhalten und inspiriert fühlen, finde ich das top.»
Ihre Zuschauerinnen und Zuschauer sollen im Idealfall «das innere Kriegsbeil begraben» und etwas zufriedener mit sich selber sein. «Das klingt einfach, aber im Zug blicke ich meist in griesgrämige Gesichter», sagt Hügi – und schenkt dem Hundebesitzer, der in der Bahnhofshalle an ihr vorbeispaziert, das freundlichste Lächeln.
8.11., 20 Uhr, Soloprogramm «Delirium» im Eisenwerk, Frauenfeld; 21.11.–21.12., Casinotheater, Winterthur, im Rahmen von «Stille Kracht».