Die Kunstgeschichte ist männlich geprägt — das regt zum Nachdenken an

Das Kunstmuseum Basel richtet ein Schlaglicht auf das Frauenbild und das Provokationspotenzial in der Kunst. Die neue Ausstellung «Kontrovers?» öffnet einen Fokus auf Kunst-Kontroversen.

Mathias Balzer
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Weniger als fünf Prozent der ausgestellten Künstler in der Abteilung moderne Kunst sind Frauen, aber 85 Prozent der dargestellten Nackten sind weiblich. Das oben gezeigte Plakat der Guerilla Girls bringt das Dilemma auf den Punkt: Die Kunstgeschichte ist männlich geprägt.

Die Künstlerinnen der Guerilla Girls kämpfen schon lange für Gleichberechtigung in der Kunst. (Bild: Tate Films)

Die Künstlerinnen der Guerilla Girls kämpfen schon lange für Gleichberechtigung in der Kunst. (Bild: Tate Films)

Die #MeToo-Debatte hat der Diskussion um die Stellung der Frauen in der Kunst neuen Auftrieb gegeben. Dabei geht es längst nicht nur um die Gegenwart. Auch historische Werke geraten in den Fokus. 2017 sorgte in Manchester ein Gemälde aus dem 19. Jahrhundert für Kontroversen.

Ein mythologisches Bild des Briten John William Waterhouse zeigt, wie der griechische Held Hylas von barbusigen Nymphen in den Tod gelockt wird. Das üppige Werk wurde abgehängt. Die einen applaudierten, weil die Frauen darauf zum Verderben bringenden Lustobjekt degradiert würden. Andere protestierten, weil sie die Kunstfreiheit der Museen in Gefahr sahen.

Das Beispiel zeigt, dass die dringend nötige Diskussion über das Frauenbild auch seltsame Blüten treibt. Kunst gibt immer das Weltbild eines bestimmten Zeitalters wieder, auch das aus heutiger Sicht abstruse vergangener Tage. Alte Kunst in den Keller zu verbannen, weil sie unseren Idealen nicht mehr entspricht, ist Geschichtsfälschung oder zumindest ein Unterschlagen von Geschichte. Gerade die Tatsache, dass sie uns provoziert, zeigt ihren Wert.

Gegenwartskunst provoziert, weil ihr Weltbild der Zeit voraus ist

Ähnlich verhält es sich mit Gegenwartskunst. Sie provoziert allenthalben, nicht weil ihr Weltbild antiquiert, sondern weil es der Zeit voraus ist. Das Kunstmuseum Basel beleuchtet dieses Wechselspiel von Zensur und Akzeptanz in seiner Ausstellung «Kontrovers?».

Das Plakat der Guerilla Girls. (Bild: Kunstmuseum Basel, Kupferstichka)

Das Plakat der Guerilla Girls. (Bild: Kunstmuseum Basel, Kupferstichka)

Den Beginn der Schau im Souterrain des Neubaus macht das Plakat der Guerilla Girls. An der Wand gegenüber wird die Rolle der Frau als Modell thematisiert. Beispielsweise mit der uns Unbekannten, die Lucas Cranach dem Älteren Modell gestanden hat. Er inszeniert sie als mythologische «Lucretia». Was wir sehen, ist aber doch eher ein Pin-up der frühen Renaissance. Ist das nun sexistisch? Oder ein Beispiel dafür, wie damals gegen die verlogene Prüderie der katholischen Kirche gekämpft wurde? Oder ist es einfach ein fantastisch gemaltes Bild?

Die Ausstellung umkreist solche Fragestellungen anhand von Werken aus dem eigenen Bestand. Die Kuratoren Gabriel Dette und Maja Wismer verzichten dabei wohltuend auf voreilige Schlüsse, sondern zeigen Entwicklungen über die Zeit hinweg auf. Im selben Raum wie Cranachs «Lucretia» hängt ein weiblicher Akt von Cindy Sherman: ein krass auf die Geschlechtsteile reduzierter, fragmentierter Körper, ein böses Spiel mit dem sexualisierten, männlichen Blick.

Ludwig Kirchner und Paul Camenisch sind als Stellvertreter des Expressionismus präsent, einer Bewegung, die erstmals versuchte, Frauen und Männer in der Kunst gleichzustellen. Dass diese Künstler aber doch vor allem nackte Frauen malten, darauf verweist Rosmarie Trockel in ihren ironischen Collagen.

Was früher als schön galt, kann heute peinlich sein

Lucas Cranachs «Lucretia». (Bild: Kunstmuseum Basel - Martin P. Bü)

Lucas Cranachs «Lucretia». (Bild: Kunstmuseum Basel - Martin P. Bü)

Weiter wird aufgezeigt, mit welchen Strategien Künstler die Provokation suchen und Kritik üben. Martin Kippenbergers gekreuzigte Kröte oder Klaus Staecks Plakate sind dafür schöne Beispiele. Kippenberger trieb den Papst und Kirchenvertreter zur Weissglut, Staeck wurde Opfer eines Bildersturms, als CDU-Abgeordnete 1976 eine seiner Ausstellungen verwüsteten. Ähnlich erging es dem Abendmahl aus der Werkstatt Holbeins 450 Jahre vorher. Es wurde von den bilderstürmenden Protestanten arg beschädigt.

Der Umgang mit problematischen Künstlerbiografien wie derjenigen des unlängst definitiv als Nazi entlarvten Emil Nolde sind ebenso Thema wie der europäische Blick des Orientalismus auf die Kolonien. Kunst, die früher als interessant oder schön galt, kann heute eher peinlich wirken. Die Auseinandersetzungen um Kunstankäufe zeigen wiederum, dass heute Umstrittenes morgen akzeptiert sein kann. Die Querelen um den Ankauf von Beuys’ Werken im Basel der Siebzigerjahre sind dafür ein gutes Beispiel.

Die Ausstellung öffnet einen weiten, klugen Fokus auf solche Kunst-Kontroversen. Dass es in der Basler Sammlung in Sachen Gleichberechtigung noch viel zu tun gibt, zeigt sie ebenfalls. Auch in ihr sind viel mehr nackte Frauen als Werke von Künstlerinnen zu sehen.

«Kontrovers?»

Bis 5. Januar. Kunstmuseum Basel.