Die Heimatlosen sagen es durch die Blume: Migration in der Kunsthalle Wil

Die Kunsthalle Wil hat sich dem Thema Flüchtlinge und Migration angenommen und die Basler Künstlerin Eva Borner eingeladen. Die vier Arbeiten der Ausstellung «Wirklichkeiten» überzeugen als subtiler, poetischer Aufruf: Nicht wegschauen!

Martin Preisser
Drucken
Die Basler Künstlerin Eva Borner mit ihrer Soundskulptur «Blackbox» in der Kunsthalle Wil. (Bild: Martin Preisser)

Die Basler Künstlerin Eva Borner mit ihrer Soundskulptur «Blackbox» in der Kunsthalle Wil. (Bild: Martin Preisser)

Ideal ist die EU schon lange nicht mehr, sie ist zu einem Deal verkommen. Jegliche Ideale sind auch bei der EU-Flüchtlingspolitik zugrunde gegangen: Zwischen Deal und Ideal macht ein Leuchtkasten vor der Kunsthalle auf ein Dilemma aufmerksam.

Die auch international häufig präsente Künstlerin Eva Borner aus Basel (ihr Atelier hat sie in einem Heustock auf dem Hauenstein) bespielt die Kunsthalle zum Thema Flüchtlinge und Obdachlose, gibt Menschen eine Stimme, die alles verloren haben. Und sie tut dies nicht mit intellektueller Distanz und vor allem ohne jeden Voyeurismus, dafür aber mit Empathie, mit Respekt, Feinfühligkeit und Behutsamkeit.

Sie kennt ihre Thematik nicht vom Hörensagen. Immer wieder hat Eva Borner Flüchtlingslager in Griechenland besucht, hat mitgeholfen und bei denen, die alles verloren haben, grosse Gastfreundschaft erlebt. Sie hat auch hierzulande mit Obdachlosen gesprochen, mit Menschen, die aus dem sozialen Netz gefallen sind.

«Sie haben mir einen Wunsch geschenkt»

Ganz mit schwarzen Stoffbahnen verhängt ist der grosse Raum der Kunsthalle. Auf dem Boden Blütenkelche aus Büttenkarton. Immer wieder schreckt man im nur leicht blau erhellten Dunkel fast auf, wenn wieder eine Stimme aus einer Blume ertönt. «Migranten und Heimatlose haben mir ihren Wunsch geschenkt», formuliert es Eva Borner. Diese Wünsche bilden das künstlerische Ausgangsmaterial. Die Künstlerin gibt diesen Wünschen Form und einen Rahmen, gehört zu werden. Sie artikulieren nun «durch die Blume».

Im Raum befinden sich fünfzehn Klangquellen, die der Sounddesigner Hans Peter Gutjahr eingerichtet hat. Er hat die verschiedenen menschlichen Stimmen (immer wieder drücken sie den Wunsch nach Frieden aus) zu einem Klangteppich vereint, als Sinnbild, dass wir alle vernetzt sind. «All die Menschen, die ich getroffen habe, ­haben etwas zu erzählen», sagt Eva Borner, der eine stille, fast meditative, aber intensiv wirkende Arbeit gelungen ist.

Mit «Blackbox» rüttelt sie sensibel auf, nicht marktschreierisch oder mit Effekthascherei. Die weissen Blumen strahlen trotz des schweren Themas viel Poesie aus, jedes Schicksal bekommt ein Stück Schönheit zurückgeschenkt. Kunst habe auch die Aufgabe, Wirklichkeiten (so auch der Titel der Ausstellung) zu spiegeln, sagt Eva Borner. Mit ihrer «Blackbox» gibt sie Schicksalen, die mehr und mehr in der Informationsflut und medialen Überflutung ungehört bleiben, eine deutliche Stimme zurück.

Kunst ohne Provokation

Wie wir in Politik und Gesellschaft die Kunst des kreativen, empathischen Dialogs verloren haben, zeigt eine Arbeit im Obergeschoss. Eva Borner hat von Dmitrij Gawrisch ein Kammerstück für eine Frau und einen Mann in Szene gesetzt. Die zunehmend surrealen Phrasen und Sätze voll Entfremdung, das Aneinander-vorbei-Reden untermalt sie mit einem Video herannahender und sich zurückziehender Ozeanwellen. Scheinbare Ruhe und Gleichmässigkeit des Meeresszenarios bekommen im Kontext des Hörstücks etwas Beklemmendes.

Einige hundert Olivenseifen sind Ausgangsmaterial für eine weitere Arbeit, die Eva Borner in Form von zwei sich an der Spitze berührenden Dreiecken ausgelegt hat. Olivenseife, ein beliebtes Mitbringsel aus Griechenland, oder Seife, mit der wir unsere Hände in Unschuld waschen?

Die Seifenblöcke, die eine griechische Firma der Künstlerin gratis überliess, könnten auch an die Särge erinnern, die wir aus den Turnhallen von Lampedusa kennen. Eingraviert sind in die Seifen die Menschenrechte, die momentan am meisten ignoriert werden. Wieder gelingt Eva ­Borner eine eindringliche Arbeit, die aber ruhig, subtil und ohne Provokation daherkommt.

Bis 16.12., Kunsthalle Wil (Grabenstr. 33); Do–So, 14–17 Uhr; Künstlergespräch: Mi, 21.11., 19 Uhr