Die unermüdliche Simone Kappeler widmet ihr nächstes Buch den Thurgauer Birnbäumen. Ein Atelierbesuch.
Kein Baum ist wie der andere, «sie sind wie Menschen», sagt Simone Kappeler. Voller Abzüge ist der grosse Tisch. Die Fotografin braucht Platz, um die schönen und die besonderen Birnbäume auszuwählen; leicht fällt ihr das nicht. «Bäume sind wie Persönlichkeiten.» Über sie will sie ein Buch machen, doch zuerst wird ein anderes Buch erscheinen, bei Scheidegger & Spiess: eines über die USA, die sie oft bereist hat. Voller Bücher ist die grosse Wohnung in der ehemaligen Gerberei Kappeler, voller Schränke mit Dutzenden von Kameras und Dutzenden von Archivschachteln für all die Vergrösserungen. Und im Kühlschrank liegen die letzten paar Dutzend Falschfarbenfilme, die Simone Kappeler so liebt.
Hergestellt werden sie nicht mehr. Auch nicht das herrliche Cibachrome-Papier, das Simone Kappeler so liebt. Die Hersteller sagen: mangels Nachfrage. Das stimmt: Simone Kappeler fotografiert analog. Sie braucht Zeit (aber kein Handy), nimmt sich Zeit; sie verlangsamt sich und somit ihr Werk. «Die Natur ist mir sehr wichtig», sagt sie. Ihr stilles Buch «Auf dem Rücken des Sees» (1997) zeugt davon.
Für ihre Studien der Birnbäume hat sie variiert: Schwarzweiss und farbig, eine professionelle Hasselblad und eine Diana mit Plastiklinse und nur rudimentären Einstellmöglichkeiten. Für die endgültigen Aufnahmen entschied sich Simone Kappeler für Schwarzweissfilm in der Hasselblad.
Simone Kappeler ist 67 und so enthusiastisch wie 1981, als sie die Fachklasse für Fotografie abgeschlossen hatte und die erste Diana geschenkt bekam. Sie wirbelt durch ihre Räume, zeigt hierhin und erklärt jenes. Ihr Schaffenswille ist ungebrochen, sie macht sich auch daran, ihr Archiv auszuwerten – da liegen Schätze, die es noch in keine Ausstellung, kein Buch geschafft haben. «Ich habe jahrelang keine Bücher gemacht, oft nur einzelne Beiträge geliefert – das hole ich nun nach.» Warum Fotobände? «Sie haben etwas Ewiges an sich», sagt sie, «aber Aufnahmen zu vergrössern ist schöner.»
Am Büchermachen liebt sie die Vorbereitung, die Ästhetik von Bildabfolge und Seitengestaltung. Sie studiert auch Bücher anderer Fotografen – sie bilden einen wichtigen Teil ihrer Bibliothek –, bis sie eine klare Vorstellung davon hat, wie ihres aussehen soll. Sie scannt die Negative provisorisch, druckt sie aus, setzt sich mit ihrer besten Freundin, einer Grafikerin, zusammen. Für die Birnbäume sucht sie noch einen Verlag. Seit sieben Jahren fotografiert Simone Kappeler sie schon. «Ich besuche sie immer wieder, diese ‹Porträts von Himmeln›. Doch wo sie sterben, werden keine neuen gepflanzt.»
Im Grunde bestehe ihre Fotografie aus lauter Langzeitprojekten, die ihr Leben begleiten. Anfang der 90er-Jahre, als die Wälder zu sterben begannen, entstanden die ersten Infrarotaufnahmen: Was lebt, ist pink, was tot ist, braun. Auch bei Aufnahmen von Menschen experimentierte Simone Kappeler. Bilder sind ihr wie Erinnerungen, «alles andere driftet weg».
«Ich kann nicht aufhören.» Simone Kappeler ist keine Reporterin; nur wenige Motive interessieren sie, dafür intensiv und immer wieder neu. Ihre Lieblingsorte sind der Randen hinter Schaffhausen, die Berge, die Botanik. «Ich fotografiere um der Schönheit willen und um etwas zu bewahren. Roland Barthes beschrieb in ‹Die helle Kammer›, was uns an Aufnahmen berührt.» Dann sagt sie: «Die Welt ist so spannend!»
Simone Kappeler
Geboren 1952. Fachklasse für Fotografie an der Schule für Gestaltung Zürich (Diplom). Aufenthalte in Südfrankreich und den USA. Zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland seit 1981. Einzel- und Gruppenpublikationen, z. B. «Diana» 1995, «Auf dem Rücken des Sees» (Text Beat Brechbühl) 1997, «Seile. Fluss. Nacht. Fotografien 1964–2011» 2011. Eidgenössische, kantonale und städtische Stipendien und Preise. Werke sind derzeit im Kunstmuseum Thurgau (Nackte Tatsachen, bis 13.4.2010) und im Kunsthaus Zürich (Die neue Fotografie, bis 9.2.2020) zu sehen. (dl)