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Er ist gross, er ist kolossal musikalisch, und er ist sehr sympathisch. Rune Bergmann, zukünftiger Chefdirigent des Argovia Philharmonic. Der Norweger wird nach 18 Jahren mit dem scheidenden Chefdirigenten Douglas Bostock und der kommenden, chefdirigentenlosen Saison die Leitung des Orchesters per 2020/2021 übernehmen, wie das Argovia Philharmonic bekannt gab: «Rune Bergmann ist eine ausserordentlich ausdrucksstarke Persönlichkeit, als Dirigent und Musiker ebenso wie als Mensch», zeigt sich Intendant Christian Weidmann erfreut. Tatsächlich. Als der Norweger mit dem Argovia Philharmonic vor zwei Jahren Leonard Bernsteins «On the Town» aufführte, begann das Aargauer Orchester regelrecht zu swingen, zu wippen, während Bergmann – damals noch als Gastdirigent – ein veritables Tänzchen hinlegte. «Ich wollte die Stimmung einer Bar vermitteln», meint er gegenüber dieser Zeitung. Keine Frage. Der Mann hat Rhythmus im Blut.
Mit Rhythmus hatte einst alles begonnen. Damals, als Rune Bergmann im norwegischen 8000-Seelen. Städtchen Sykkylven aufwuchs. Sein Vater war Zeitungs-Verleger. Sodass im Keller des Hauses Bergmann tagein, tagaus die Druckmaschine ratterte. «Ta-dam, ta-dam, ta-dam – mit diesem Rhythmus im Ohr bin ich aufgewachsen», meint der heute 43-Jährige. Der Weg von dort auf die internationalen Konzertpodien war alles andere als eben, denn in Sykkylven konnte man sich zunächst nicht vorstellen, dass Dirigieren ein echter Beruf sei.
Über Sweden’s Royal College of Music, wo Bergmann Chor- und Orchesterleitung studierte, führte sein Weg an die Sibelius Akademie in Helsinki (zum Dirigenten Leif Segerstam). Anschliessend wurde er Generalmusikdirektor der Oper in Augsburg. Heute pendelt er zwischen den Kontinenten als Chefdirigent der Calgary Philharmonic (Kanda), der Szczecin Philharmonic (Polen) und seinem Wohnort nahe Oslo. «Zum Glück liebe ich es, hart zu arbeiten. Wenn ich frei habe, bin ich total gestresst», erklärt der dreifache Familienvater. Die Ausnahme: Wenn einer seiner Söhne (10, 7 und 5 Jahre) Geburtstag hat, gibt es kein Wenn und Aber, keine Probe und kein Konzert, «dann bin ich zu Hause», sagt Rune Bergmann bestimmt.
Vielleicht ist es unter anderem diese Herzlichkeit, verbunden mit einer Entspanntheit, die den grossen Mann aus dem Norden auch zu einem ausserordentlichen Dirigenten macht. Mit dem Argovia Philharmonic habe er «vom ersten Tag an eine besondere Verbindung» gespürt, erzählt er: «Sie sind wunderbare Musiker und tolle Menschen. Das ist eine sehr gute Ausgangslage für eine Zusammenarbeit.» Besonders für ihn. Denn er sei nie nur auf der Suche nach Erfolg, sondern nach Potenzial. Genau das habe er mit diesen Musikern gefunden. Anders gesagt: «Wir werden zu einem relevanten Orchester, wenn wir uns selbst relevant machen.»
Die Orchester-Konkurrenz aus Zürich, Basel oder Luzern fürchtet er nicht: «Die Schweiz hat viele sehr gute Orchester. Doch für alle Orchester ist es am schwierigsten, gleichzeitig die Tradition zu pflegen und relevant sowie innovativ zu sein. Ich denke, da ist das Argovia Philharmonic im Vorteil, weil es kleiner und extrem flexibel ist.»
Zweimal war Rune Bergmann beim Argovia Philharmonic zu Gast, 2017 mit Bernstein und Dvorak und im Januar 2019 mit Haydn und Purcell. 2020 werde er an diese Zusammenarbeit anknüpfen. Und mit dem Orchester einen gemeinsamen Weg suchen. Wie soll dieser Rune-Bergmann-Weg aussehen? Das sei immer wieder anders, weil jedes Orchester andere Bedürfnisse habe, meint der Dirigent. Aber zusammengefasst in zwei Worte: «Happy und spannend». Argovia-Philharmonic-Intendant Christian Weidmann bestätigt: «Rune Bergmanns Kommunikation ist erfrischend positiv, das Glas immer halb voll, und nie halb leer.»
Tatsächlich: Wenn Rune Bergmann dirigiert, sprüht er vor Energie und Lust an der Musik. «Die Freude am Musizieren ist für mich extrem wichtig», erzählt ert gegenüber dieser Zeitung. «Wir leben in einer ziemlich komplizierten Welt und ich glaube, dass Musik dadurch relevanter wird. Sie ist der beste Weg, über Grenzen hinweg mit Menschen zu kommunizieren.»
Und die Freude, die Rune Bergmann ausstrahlt, kommt zurück. Denn der 1,96 m grosse Mann schafft es, die Orchestermusiker zu seinen Komplizen zu machen, wenn er mal mit, mal ohne Stock dirigiert. Vor allem aber verzichtet er bewusst auf das Dirigentenpodest: «Ich bin so ein grosser Kerl, auf dem Podest wirke ich wie ein riesiger Wikinger, der über das Orchester fliegt.» Er ziehe es vor, näher bei den Musikern zu sein. «Das Gefühl, gemeinsam Musik zu machen, ist für mich etwas vom Wichtigsten.»
Er habe die Erfahrung gemacht, dass das Publikum mehr auf die Performance anspreche als auf die reine Musik: «Es will gefesselt werden von dem, was es sieht und hört – sonst könnte es auch zu Hause eine CD anhören.» Wenn viele Orchester versuchten, mehr Publikum zu erreichen, indem sie Popmusik spielten oder nur sehr bekannte Werke, sei das oft nicht der richtige Weg. «Viel wichtiger ist, dass jeder und jede im Publikum unsere persönliche Beteiligung fühlt – spürt, dass das hier das Argovia-Philharmonic-Erlebnis ist.»