Kino
Der neue Flüchtlings-Film "Transit" kennt keine Zeiten

Christian Petzolds Filmdrama «Transit» erzählt eine Flüchtlingsgeschichte aus den 1940ern im heutigen Marseille. Ein eleganter Spagat.

Lory Roebuck
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Wie einst Bogart und Bergman: Paula Beer und Franz Rogowski in «Transit». Look Now!

Wie einst Bogart und Bergman: Paula Beer und Franz Rogowski in «Transit». Look Now!

Look Now!

Die Idee ist nicht neu: Man nehme eine Geschichte aus dem Zweiten Weltkrieg, um damit auch die aktuelle Flüchtlingssituation zu illustrieren. So sind bereits unzählige Filmemacher vorgegangen, von Steven Spielberg («Schindler’s List») bis Maria Schrader («Vor der Morgenröte»). Der 57-jährige Deutsche Christian Petzold («Phoenix») geht nun allerdings einen grossen Schritt weiter. Sein neuer Film «Transit» sucht nicht etwa im Gestern das Heute, sondern stellt Gestern und Heute einfach mal nebeneinander.

Petzolds Film basiert lose auf dem 1944 erschienenen, gleichnamigen Roman von Anna Seghers und erzählt von einem deutschen Flüchtling namens Georg. Als deutsche Truppen in Paris einmarschieren, gelingt es Georg gerade noch, nach Marseille zu entkommen. Doch auch dort stehen die «Faschisten», wie Georg sie nennt, bereits vor der Tür.

Historisches Zwischenreich

Die Kleider, die Georg trägt, und die Cafés, die er aufsucht, könnten aus den 40er-Jahren sein. Doch die bewaffneten Truppen rasen in modernen Polizei-Kastenwagen durch die engen Gassen Marseilles, und die jungen Männer, die sie gegen eine Wand drücken, sind nicht etwa jüdischer, sondern nordafrikanischer Abstammung.

Was den Anschein eines äusserst bemühten historischen Spagats hat, entpuppt sich im Fall von «Transit» als sehr elegant. Denn Petzold zeigt solche Bilder beiläufig und ohne sie weiter zu kommentieren. Das Marseille, das er inszeniert, ist ein historisches Zwischenreich voller Menschen, die wie aus der Zeit gefallen sind. Sie alle wollen weg, sitzen aber in der Hafenstadt fest, sofern sie nicht zu den wenigen Glücklichen gehören, die über Ausreisedokumente – Transitpapiere – verfügen.

Auch Georg ist einer dieser Menschen, auch an ihm droht die Gegenwart einfach vorbeizuziehen. Bis er in den Besitz der Hinterlassenschaften eines kürzlich verstorbenen Schriftstellers namens Weidel gelangt. Weil sich darunter auch ein Ausreisevisum für den Schriftsteller und seine Ehefrau befindet, beschliesst Georg, sich vor den Behörden als Weidel auszugeben. Doch dann verliebt er sich ausgerechnet in Marie, die Frau des Schriftstellers, die nichts vom Ableben ihres Gatten ahnt.

Sehnsuchtsvolle Blicke

Petzold filmt diese vertrackte Liebesgeschichte in schwerelosen Bildern und nach dem Muster eines klassischen Film noir. Wir hören eine rauchige Erzählerstimme und sehen sehnsuchtsvolle Blicke, die uns noch weitaus mehr über das bewegte Innen- leben der Filmfiguren verraten.

Mit Franz Rogowski und Paula Beer hat Petzold seine Hauptrollen ideal besetzt. Wie das deutsche Duo den sinnlichen, melodramatischen Filmstoff zum Besten gibt, erinnert an Humphrey Bogart und Ingrid Bergman in «Casablanca». «Transit» kann als gelungene Erweiterung des Klassikers von 1942 betrachtet werden. Neu, alt, aufregend und bewährt – ein Film, der in der Zeitlosigkeit schwebt.

Transit (D/F 2018) 101 Min. Regie: Christian Petzold. Ab Donnerstag, 31. Mai, im Kino. HHHHI