Vitra Design Museum
Der Künstler, der Maschinen ein Gesicht gab

Das Vitra Design Museum zeigt, wie der Italiener Ettore Sottsass (1917–2007) unseren Alltag geprägt hat.

Delphine Conzelmann
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Sein erster Klassiker: 1969 schuf Sottsass die Reiseschreibmaschine «Valentine» für die Firma Olivetti.
3 Bilder
Ettore Sottsass
Ente? Nein, Lampe! «Tahiti» vom Memphis-Kollektiv, 1981.

Sein erster Klassiker: 1969 schuf Sottsass die Reiseschreibmaschine «Valentine» für die Firma Olivetti.

Alberto Fioravanti

«Der Mensch ist meine grösste Inspiration. Wäre ich nicht Designer geworden, dann wahrscheinlich Anthropologe.» Das hat Ettore Sottsass einst über sich selbst gesagt. Den menschlichen Alltag aber nur theoretisch zu erforschen, reichte dem sinnlichen Italiener nicht: Er wollte ihn mit seinen Entwürfen lebendig und fröhlich gestalten.

Fasziniert von der Lebenswelt seiner Mitmenschen, machte sich Sottsass (Jahrgang 1917) auf, das europäische Design zu revolutionieren. Seine Objekte sollten Freude machen und überraschen. Mit dieser Haltung liess er den nüchternen Stil der Postmoderne, der pure Funktionalität vor Ästhetik propagiert hatte, hinter sich.

Was zuvor kalt, einfach und technisch wirkte, wurde in den Händen des Italieners ab den 1950er-Jahren zu einem Objekt der Fröhlichkeit. Wie in zwischenmenschlichen Beziehungen wollte Sottsass Humor auch in Alltagsobjekten nicht missen. Schluss mit Minimalismus, her mit dem Pop!, sagte er sich und liess sich von der «Pop Art» inspirieren.

Primär an der Lebensart seiner Zeitgenossen interessiert, verstand er sich darauf, ihre Bedürfnisse zu erkennen und mit ihren Wünschen zu spielen. Allen voran mit dem Wunsch, aus den Einschränkungen der Nachkriegszeit auszubrechen – endlich wieder Spass zu haben.

Verspielte Objekte

Bekannt wurde Sottsass in einer Domäne, die vor ihm kaum mit Ästhetik in Verbindung gebracht wurde: der Elektronik-Industrie. Als Designer des italienischen Maschinenherstellers Olivetti verwandelte er die oft grossen und umständlichen Geräte in Objekte der Konsumbegierde. Eines seiner bekanntesten Objekte steht symbolisch für seinen Spieltrieb: Die Schreibmaschine «Valentine». Der romantische Name lässt das verspielte Aussehen bereits erahnen.

Das Arbeitsinstrument, das Produktivität fördern sollte, wurde durch Sottsass’ Entwurf zu einem handlichen und hübschen Mode-Accessoire. Damit beschränkte sich der Designer nicht nur auf seine Rolle als Ästhet, er war auch massgeblich an der Demokratisierung der Technik beteiligt. Denn Sottsass machte Geräte, die bis dato kalt, kompliziert und auf manche Menschen auch beängstigend wirkten, für private Käufer verständlich und attraktiv. So gestaltete er nicht einfach nur ein Objekt, sondern auch ein modernes Lebensgefühl.

Immer mit Stift unterwegs

Der Alltag und die Gefühlswelt der Kunden standen für Sottsass immer im Vordergrund, sei es als Ziel oder als Quelle seiner Fantasie. Er war ein Denker und ein Beobachter, wie ein ethnologischer Forschungsreisender stets mit Kamera und Stift unterwegs. «Nicht nur die Aussagen und Verhaltensweisen der Menschen, sondern auch die Farben und Formen, mit denen sie sich umgeben, sind Ausdruck ihrer Identität», sagte er voller Überzeugung.

Von den imposanten Gebäuden New Yorks zu eigener Grösse inspiriert und von den Reizen der Stadt überflutet, begann der ausgebildete Architekt in den 1950er-Jahren damit, eigenes Design zu entwerfen. Ein Jahrzehnt später ergriff ihn das Fernweh erneut, er reiste nach Indien. Zwar musste er nach kurzer Zeit wegen einer mysteriösen Krankheit nach Mailand zurückgebracht werden, doch die intensiven Eindrücke hinterliessen Spuren in seinem Design: Knallige und exotische Farbkombinationen erinnern an ferne Kulturen. Auch an Kulturen, die längst in Vergessenheit geraten waren.

Viele seiner farbenprächtigen Keramiken und Glasobjekte sind moderne Interpretationen von rituellen, teilweise jahrtausendealten Artefakten. Vasen, die aussehen wie Totemfiguren, Karaffen in der Form von Fruchtbarkeitsstatuen: Die Werke des Italieners erinnerten immer auch an Weltgeschichte.

Daran knüpfte er auch mit dem Namen des Designerkollektivs an, das er 1980 in Mailand gründete: «Memphis», eine ägyptische Metropole aus biblischer Zeit. Allerdings liess sich die Gruppe nicht von der vergessenen Stadt zu ihrem Namen inspirieren, sondern von einem Bob-Dylan-Song: «Wir waren in absoluter Hippie-Stimmung, das ist schwer zu vergessen», erinnert sich das ehemalige Memphis-Mitglied Aldo Cibic heute noch. Sottsass hatte ihn angestellt, als er als 20-Jähriger gerade aus der Ausbildung kam.

Förderer von Jungdesignern

Sottsass, damals längst eine Ikone, hatte auch im Alter keine Starallüren. Er wollte mit Nachwuchstalenten zusammenarbeiten, förderte sie und nahm sie nach kurzer Zeit als Partner an Bord: Memphis als «Bottom-up»-Bewegung. Auch wenn es dieses Unternehmen nur sieben Jahre lang gab, prägte es den Look der 80er- und 90er-Jahre.

Die «Jungen Wilden» hatten dabei alle Regeln des Postmodernismus gebrochen: Vom Motto «Weniger ist mehr» wollten sie nichts wissen. Stattdessen kombinierten sie unkonventionelle Materialien, gewagte Farben und chaotische Muster, dabei überhörten sie auch mal die Mahnung ihres Mentors, der sagte: «Schönes Design ist wie Kuchenessen: Ein bisschen davon ist herrlich, aber wenn man es übertreibt, wird einem schlecht.»

Empathie und Innovation

In ihren Jahren mit Sottsass legten die jungen Möbel-, Keramik- und Textildesigner die Basis für ihre eigenen, meist erfolgreich Karrieren. Ihre Memphis-Entwürfe haben bis heute Kultstatus. «Wir haben unserer Zeit ein neues visuelles Vokabular verliehen», sagt Cibic. Die Sprache aber entwickelte schliesslich sein «maestro». Es ist eine Mischung aus Empathie und Innovation, die Sottsass’ Design so einzigartig gemacht hat. Nicht zeitlos, aber ewig jung.

100 Jahre alt wäre er dieses Jahr geworden, seine Ästhetik hat ihn überlebt und nichts an Frische verloren. Vielleicht deshalb, weil er seine Arbeit stets mit einer gesunden Prise Humor würzte und dabei auch seinen italienischen Charme spielen liess. «Ein Stuhl ist deshalb ein so wichtiges Objekt, weil man ihn stets einer Dame anbieten kann», hat er einst gescherzt. Ettore Sottsass’ Schaffen war ein Flirt mit dem Betrachter, ein Dialog zwischen Kunst und Funktionalität, bei dem es letztlich immer nur um eines ging: den Menschen. Gefragt nach dem Vermächtnis seines Lehrers, sagt Cibic: «Er hat uns gelehrt, dass wir nie aufhören dürfen, die menschliche Lebenswelt zu erforschen.»

«Ettore Sottsass – Rebell und Poet» Noch bis 24. September 2017 zeigt das Vitra Design Museum in Weil am Rhein (D) 30 Objekte und Möbel des italienischen Designers, ergänzt durch Fotografien und biografisches Filmmaterial.