Der Festspiele würdig

Salzburg startet ambitioniert: Mit Goethes gesamtem «Faust» – und mit «Die Frau ohne Schatten» von Richard Strauss. Tobias Gerosa/Salzburg

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Reduzierter Faust: Patrycia Ziolkowska und Philipp Hochmair. (Bild: epa/Barbara Gindl)

Reduzierter Faust: Patrycia Ziolkowska und Philipp Hochmair. (Bild: epa/Barbara Gindl)

Am ersten Abend das Ritual von Hugo von Hofmannsthals «Jedermann», das wie jedes Jahr die Kassen füllt; am zweiten Abend die Herausforderung: Goethes Faust, beide Teile in acht Stunden («vielleicht etwas mehr, vielleicht etwas weniger», gab der Regisseur Nicolas Stemann vor der Premiere bekannt). Am Anfang ist Genuschel: Wie beim ersten Lesen murmelt Sebastian Rudolph die Zueignung ins gelbe Reclam-Bändchen, bevor er im Vorspiel und dem Prolog gleich alle Rollen übernimmt.

Faust, reduziert

Nicht nur die rote Leuchtschrift, die immer die Szenen angibt, macht klar, dass hier Theater gespielt wird, dass man nicht zu wissen vorgibt, sondern einen Text erforscht – mal als Hörspiel, mal als Monolog, mal Vers für Vers und mal ganz frei und am Schluss gar nur als Leuchtschrift. Lang ganz karg und konzentriert und dann immer wilder und überfüllter und in einen albernen Gospel-Chor mündend. Regieanweisungen werden gesprochen, und der Regisseur, der das Publikum auch über den Ablauf informiert, wuselt Anweisungen gebend mit über die Bühne: Der Superklassiker als Work in Progress.

Doch für der Tragödie ersten Teil reichen Stemann drei hervorragende Darsteller auf leerer Bühne. Rudolph bestreitet die erste Stunde ganz allein. Wenn dann für die restlichen gut anderthalb Stunden Philipp Hochmair und Patrycia Ziolkowska dazukommen, sind sie auch Faust und auch Mephisto und auch Gretchen.

12 110 angedrohte Verse

Das funktioniert so gespielt und gesprochen erstaunlich gut – und erstaunlich unterhaltsam. Die Videoprojektionen sind dabei so wenig zwingend wie der Tänzer (Franz Rogowski) und die Mezzosopranistin (Friederike Harmsen), sie ergänzen aber das Bild eines Panoptikums.

Auch der zweite Teil beginnt mit einer Distanzierung. Barbara Nüsse stellt sich als Goethe, den Autor «dieses grossartigsten Texts deutscher Sprache», vor und droht, wie nach ihr diverse Mephisto-Figuren damit, dass «ungestrichen» alle 12 110 Verse gespielt werden.

Inklusive Jean Ziegler

Was dann folgt, ist allerdings zuerst näher an einer aktualisierenden Revue als sklavischer Textabarbeitung, in die der tattrig-senile «Postdramatiker Goethe» ebenso Platz findet wie Seitenhiebe auf die Festspiele und ihre Hofdichter.

Die Geldszene dreht Josef Ostendorf zur holzhammerartigen Wirtschaftskritik mit Protestchor und Sponsorenlogos. Auch wenn die Selbstbezichtigung, man wolle politisches Theater machen, im Nirgendwo zwischen Ironie und Ernst hängenbleibt: Der Vorabaufreger, dass der vorgesehene Eröffnungsredner Jean Ziegler dann doch nicht eingeladen wurde, bauen Stemann und sein Team inklusive Zitaten lustvoll in ihre Inszenierung ein.

Als Idee überzeugender ist die Interpretation des Homunculus als junger Mensch auf der Suche nach seiner Herkunft und seinem Ziel – kein Kunstmännchen, sondern eine weitere Verkörperung von Fausts Grundproblem. So viel ist (auch von den hintern Reihen) erkennbar – sonst lösen sich diese ersten zwei Akte des zweiten Teils immer mehr im Gewusel von Statisten und bizarren Puppen auf.

Gross der Bruch zum Helena-Akt, der klassisch, ja ziemlich brav exekutiert wird (Rudolph und Ziolkowska), bevor im letzten Teil nochmals die ganze Bildphantasie entfaltet und auf Videos von Vorträgen über Faust und comicartige Live-Bebilderung ausgeweitet und auch ausgewalzt werden, dass man auf den zwar neu gepolsterten, aber doch harten Bänken die acht Stunden Sitzen dann doch zu spüren beginnt. Relativ spät allerdings.

So problematisch vieles ist, je länger die Vorstellung dauert: Der offene Umgang macht deutlich, dass Faust II nicht zu bewältigen ist. Warum also nicht so?

Die Frau ohne Schatten

Nur halb so lang wie «Faust» war am Wochenende die erste Opernpremiere: «Die Frau ohne Schatten» von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal, auch sie nähert sich dem Stück mit mehr Fragen als Antworten. Statt des symbolisch schwer befrachteten Märchens inszeniert Christoph Loy (dessen «Pique Dame» 2009 am Theater St. Gallen zu sehen war) eine Schallplattenaufnahme der Oper in den 1940ern. Die Opernhandlung und die Geschichte der Inszenierung laufen wie nebeneinander, bevor sie sich immer mehr zu vermischen beginnen.

Das wirkt lange wie ein Stummfilm auf ganz unterschiedlichen Ebenen, wird mit der Entwicklung der Titelfigur im dritten Akt aber sehr schlüssig. Musikalisch ist die Produktion auf allerhöchstem Niveau. Christian Thielemann und die Wiener Philharmoniker schwelgen in Strauss' spätromantischen Klängen.