Amazon, Netflix und Smartphones zum Trotz: Carol Forster und ihr Bücherladen Appenzell brauchen mehr Platz. Denn bei ihr ist Lesen in.
Es ist einer dieser Tage, an denen die Regenwolken die Landschaft aufessen. Kalt, nass und ungemütlich. Da leuchtet der Bücherladen mitten in Appenzell wie eine warme Oase ins Grau. Dichtgedrängt die Bücher in den deckenhohen Regalen, und man möchte sich am liebsten inmitten der Bücherstapel auf einen der roten Sessel fläzen und sich weglesen.
Es ist gemütlich in Carol Forsters Bücherladen, den sie seit 23 Jahren an der Poststrasse betreibt. Gegründet hat sie ihn 1992 im Ladenlokal eines Restaurants. Appenzell Innerrhoden war der letzte Kanton ohne Buchhandlung. Forster schloss die Lücke, obwohl ihr damals viele abrieten: Appenzeller würden nicht lesen. «Das stimmt doch überhaupt nicht, auch Appenzeller lesen die NZZ und das Feuilleton, schauen Literaturclub.»
Und sowieso, reich kann man mit einer unabhängigen Buchhandlung nicht werden. Forster hatte schnell einen Kundenstamm. Anfangs war dieser noch klein, aber der Laden wuchs. 2010 wurde er gar als erster zur Buchhandlung des Jahres gewählt.
Doch wer hinter die Kulissen schaut, sieht, wie eng es ist. Zu eng. Im winzigen Büro, wegen Windhund Santo mit Vorhang und Gittertürchen abgetrennt vom Laden, ist kaum Platz, um zu zweit zu sitzen. Und wenn man sitzt, kann keiner mehr vorbei. Im Gang, der vom Büro zur Kasse führt, ist kein Durchkommen mehr. Bücherkisten über Bücherkisten, gepackt für den Demenzkongress, die Regale dahinter quellen über mit Bestellungen, Geschenkpapier, Kalendern, unverkäuflichen Leseexemplaren, die Carol Forster nicht entsorgen mag: «Ich kann doch keine Bücher wegwerfen!»
Daneben die steile Treppe in den Keller, auch hier: Platznot. Kistenweise lagern Papiersäcke neben Getränkeharassen, Stühlen, Schaukelpferd, Velo. Carol Forster klettert über Altkartonberge nach hinten in den Gewölbekeller. Den nutzte sie für Lesungen, doch es ist feucht und kalt und duster und eng. Sie kämen schon klar mit dem knappen Raum. «Wir verstehen uns gut, für Streit im Team haben wir keinen Platz», sagt Forster.
Aber mehr Platz wäre schön. Und weil der Laden so gut läuft, und weil es unsicher ist, wie lange sie dort noch eingemietet bleiben kann, fasste Forster den Entschluss: die Gelegenheit beim Schopf packen und umziehen.
Während andere Buchhandlungen sich verkleinern oder ganz schliessen (seit die Buchpreisbindung 2007 gefallen ist, machten im Schnitt pro Jahr zehn Buchhandlungen in der Schweiz zu), geht Forster mit ihrem Team den umgekehrten Weg: Der neue Bücherladen wird fast doppelt so gross. «Da können wir unsere schönen Bücher besser präsentieren.» Und er wird an der Hauptgasse liegen, der Haupteinkaufs- und Flaniergasse von Appenzell.
Auch jetzt finden viele Touristen den Weg in ihr Geschäft. Wenn es regnet und sie nicht wandern können, stöbern sie gerne in Forsters Auswahl von Kunst- und Architekturbänden. Doch nur von Touristen könnte ihr Laden nicht existieren. Forster hat sich im Laufe der Jahre eine Stammkundschaft erarbeitet. Sie und ihre Mitarbeiterinnen beraten, wissen um die Vorlieben und Interessen ihrer Kundinnen und Kunden, bestellen schon mal ein Buch, von dem sie denken, ach, das könnte diese Leserin interessieren.
Forster und ihr Team haben den Laden an sieben Tagen in der Woche offen. Sie liefern Bestellungen in ihre Bücherstationen in Dörfern im Appenzellerland, so muss man nicht nach Appenzell fahren zum Abholen. Man kann sich im Bücherladen einschliessen lassen, allein oder mit Freunden, und einen Abend lesen, was das Herz begehrt. Seit zehn Jahren bieten sie das an, und es ist immer ausgebucht.
Sie netzwerken mit den Gemeindebibliotheken, mit den Schulen, den Behörden. Sie haben einen Lesekreis gegründet. Sie haben den «kleinen Frühling» mitgegründet, das Kulturfestival zieht viele Besucher an.
Jetzt der Umzug, im Januar werden die Kisten gepackt. Damit der kleine Laden das stemmen kann, sammelt Carol Forster per Crowdfunding Unterstützer und Geld. 65000 Franken sollen es werden, mehr als 45000 Franken sind schon zusammengekommen, gespendet von über 100 Buchfreunden. Noch zwei Wochen läuft die Aktion.
Für das Crowdfunding haben Forster und ihr Team prominente Unterstützer gefunden: Künstlerinnen und Künstler spenden Werke, Verlage signierten Bücher. Man kann exklusiv mit Dorothee Elmiger in die Textwerkstatt, Usama Al Shahmani oder Klaus Merz lesen für einen, Lukas Linder schreibt eine persönliche Geschichte. Carol Forster ist vernetzt in der Kulturszene. Und es scheint, dass auch viele Leserinnen und Leser sich wünschen, dass Forsters Laden grösser wird. Denn zwischen Bücherregalen zu stöbern ist einfach schöner, als auf Amazon zu klicken.
Infos zum Crowdfunding hier