Das Glück hat viele Namen

Die Zuschauer applaudieren im Stehen, an der Vorpremiere in Romanshorn und an der Premiere in Weinfelden, denn alle sind berührt von der Theaterperformance «Nur mit mir allein zum Glück» der Sozialinstitution Betula.

Dieter Langhart
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Sechs Mitglieder des Ensembles KunstWerke tanzen und singen ihr Lied «Nur mit mir allein zum Glück»: Vorpremiere beim Fest für Freunde des Betula Romanshorn. (Bild: Dieter Langhart)

Sechs Mitglieder des Ensembles KunstWerke tanzen und singen ihr Lied «Nur mit mir allein zum Glück»: Vorpremiere beim Fest für Freunde des Betula Romanshorn. (Bild: Dieter Langhart)

ROMANSHORN. Versuchen Sie nicht zu verstehen. Lassen Sie sich von der Poesie der Bilder berühren, um Ihre eigenen Fenster zum inneren Glück zu öffnen. Dieser Rat steht auf dem schlichten Programmzettel zur Theaterperformance «Nur mit mir allein zum Glück». Die Zuschauer befolgen ihn auch unbewusst, tauchen ein in die Bilder, in die lustigen und die melancholischen, die schlüssigen und die offenen.

Sie sehen sechs Menschen auf der Bühne (und drei weitere in Projektionen), fühlen mit. Und fühlen sich glücklich nach der Vorstellung, spenden rauschenden Beifall in der Aula Romanshorn (und tags darauf im Theaterhaus Weinfelden). Warum?

Sich zeigen, nicht Rollen spielen

Seit 25 Jahren kümmert sich die Institution Betula um Menschen in gesonderten Lebensumständen und hat dies mit einem Fest für Freunde gefeiert. Und mit dieser Performance, die die Künstlerin Micha Stuhlmann über Monate mit neun Darstellern eingeübt hat – auch mit solchen, die nicht von Betula betreut werden. Wer im Publikum hätte mit Bestimmtheit sagen können, wo die Grenze zwischen Normalität und Besonderheit liegt, ob es diese Grenze denn gibt und ob sie überhaupt sinnvoll ist. Denn auf der Bühne (und in der heimeligen Sitzecke nebendran) fliesst alles ineinander, werden keine Rollen eingenommen – jede und jeder zeigt etwas aus seiner Lebensgeschichte: Hanna Eikelenboom, Cedric Gamper, Felix Ganzeboom, Nico Heierli, Gerda Löw, Kurt Riederer, Marlies Verhofnik, Carmencita Vettori, Johannes Widmer. Und bisweilen gesellt sich Micha Stuhlmann dazu.

Was heisst schon «normal»

Um Besitzenwollen und Loslassen geht es in «Nur mit mir allein zum Glück», ums Geben und Nehmen, um Sein und Schein: Ich bin nicht der, der ich zu sein scheine. Und, auch, um das Normalsein: im witzigen Orakel oder in Marlies' Frage: Wenn ich normal wäre – an was würde ich es merken?

Szenen und Bilder, Sätze und Tänze, Pantomime und titelgebendes Lied, die Projektionen und die roten Schuhe und das (ungesungene) «Je ne regrette rien» – alles fügt sich zu einem Reigen: lustvoll und ernst, ironisch bis absurd. Und wie dann der Applaus einsetzt, löst sich die Anspannung, strahlen die Gesichter auf der Bühne und vor der Bühne. Nicht normal wäre es, liessen Sie sich dieses Stück und das innere Glück entgehen.