Das Dasein und die Welt

Der US-amerikanische Konzeptkünstler Joseph Kosuth fordert die Besucher des Kunstmuseums Thurgau zum Nachdenken auf. Seine Arbeiten fragen: In welchem Verhältnis stehen Sprache und Abbild zur Wirklichkeit?

Florian Weiland
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Joseph Kosuths «Eine verstummte Bibliothek» im Gewölbekeller. (Bild: Donato Caspari)

Joseph Kosuths «Eine verstummte Bibliothek» im Gewölbekeller. (Bild: Donato Caspari)

Es ist ein Kunstwerk, das genau das darstellt, was sein Titel verspricht. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. «Five words in five colors» zeigt eben dies: fünf Wörter in fünf unterschiedlichen Farben. Eine Neonschrift, die ausschliesslich sich selbst charakterisiert. Eine Tautologie, ein sich selbst beschreibender Tatbestand. Der Titel sagt bereits alles über das Werk und unterstreicht damit, dass nicht das konkrete Objekt, sondern die Sprache den entscheidenden Bestandteil dieser Arbeit ausmacht.

Nietzsche an der Fassade

Nachdem bereits seit letztem Jahr Joseph Kosuths bislang grösste Rauminstallation «Eine verstummte Bibliothek» wieder im Gewölbekeller der Kartause Ittingen zu sehen ist, folgt nun in den oberen Räumen eine umfassende Ausstellung, die auch viele ältere Arbeiten des Amerikaners präsentiert.

Zudem hat Kosuth dem Kunstmuseum ein Geschenk mitgebracht: «Denn nur als ästhetisches Phänomen ist das Dasein und die Welt ewig gerechtfertigt» – ein Zitat aus Friedrich Nietzsches Buch «Die Geburt der Tragödie» – prangt fortan als Leuchtschrift an der Fassade des ehemaligen Klostergebäudes in Warth. Ausgerechnet Nietzsche, jener Philosoph, der Gott einst für tot erklärt hat, begrüsst nun jeden Besucher der Kartause mit einem Satz, über dessen Bedeutung gerätselt werden darf – und gerätselt werden soll. Was meint Nietzsche mit «ästhetisches Phänomen»? Und was versteht Joseph Kosuth darunter? Entscheidender aber ist, erklärt der Künstler, wie jeder einzelne Besucher diesen Satz interpretiere.

Joseph Kosuth liebt es, den Betrachter mit aus dem Zusammenhang gerissenen Wörtern und Sätzen zu konfrontieren. Der amerikanische Konzeptkünstler, Jahrgang 1945, hat eine Vorliebe für Philosophen wie Ludwig Wittgenstein und Friedrich Nietzsche. Beide spielen in seiner aktuellen Ausstellung im Kunstmuseum Thurgau eine entscheidende Rolle. Die Philosophie indes ist, so gibt sich Kosuth überzeugt, am Ende. Die Kunst hat ihre Aufgabe übernommen.

Idee der Kunst als Idee

Kosuth fordert auf, über das Dasein und die Welt nachzudenken. Das Nietzsche-Zitat gibt somit das Motto der gesamten Ausstellung vor. In welchem Verhältnis stehen, um Kosuths zentrales Anliegen herauszugreifen, Sprache und Abbild zur Wirklichkeit? Kosuth will keine Bilder oder Skulpturen zeigen. Er zeigt seine Ideen und hinterfragt damit nicht zuletzt auch das Wesen der Kunst. «Art as Idea as Idea» heisst treffend eine der bekanntesten Arbeiten Kosuths, die auch in der Kartause zu sehen ist. Die Idee der Kunst ist selbst eine Idee.

Kosuths Kunst verlangt einen geistigen Abstraktionsprozess und vollendet sich erst im Kopf des Betrachters. Der Künstler liefert nur eine Anregung, eine Vorlage, die der Betrachter aufgreifen muss und über deren Bedeutung er nachdenken soll. Es sei eine «schwierige Ausstellung», räumt Museumsdirektor Markus Landert ein. Aber das müsse so sein, denn gerade darin liege die besondere Qualität von Kosuths Arbeiten.

Schwer zu entziffern leuchtet das deutschsprachige Wort «Sprache» an der Wand. Es soll, so heisst es, wie Joseph Kosuth in der Kartause Ittingen begeistert erzählt, das letzte Wort gewesen sein, dass Ludwig Wittgenstein vor seinem Tod geschrieben habe. Doch wofür steht dieses Wort? Um welche Sprache geht es? Wieder liegt es am Museumsbesucher, das Wort mit Inhalt zu füllen.

In verschiedenen anderen Werken liefert Kosuth diesen Inhalt in gewisser Weise gleich mit. Wiederholt sind ganze Lexikoneinträge zu lesen, und doch beantworten auch diese vorgegebenen Definitionen nicht die Frage nach der tieferen Bedeutung, die hinter allem steht. «Eine und fünf Uhren» zum Beispiel besteht aus einer realen Uhr, die die aktuelle Zeit anzeigt. Direkt daneben eine Fotografie dieser Uhr. Der Stunden- und Minutenzeiger ist festgefroren. Ein Bild der Vergangenheit.

Ein Angebot an den Betrachter

Dazu gesellen sich drei Lexikoneinträge zu den Begriffen «Clock», «Time» und «Object». An dieser Stelle ist einmal mehr der Betrachter gefragt. Joseph Kosuth macht ihm lediglich ein Angebot. Was der Betrachter daraus macht, liegt allein an ihm.

Bis 24. August, Kunstmuseum Thurgau, Kartause Ittingen Mo bis Fr 14–17 Uhr, Sa/So 11–17 Uhr www.kunstmuseum.ch

Joseph Kosuth vor der Installation «Text for Nothing •9» im Kunstmuseum Thurgau in der Kartause Ittingen. (Bild: Donato Caspari)

Joseph Kosuth vor der Installation «Text for Nothing •9» im Kunstmuseum Thurgau in der Kartause Ittingen. (Bild: Donato Caspari)