HÖRBAR JAZZ
HÖRBAR JAZZ
Seit Louis Armstrong 1922 mit dem Zug in Chicago ankam, zählt die «Windy City» zu den wichtigen Jazz-Städten. In den 60er-Jahren erneuerte sich der Jazz in Chicago von Grund auf, eine zentrale Rolle spielte dabei die AACM (Association for the Advancement of Creative Musicians), 1965 ins Leben gerufen. Rechtzeitig zum 50-Jahr-Jubiläum dieser nach wie vor aktiven Organisation erscheint ein fabelhaft unperfekter Live-Mitschnitt aus dem Jahre 2013: Unter der freigeistigen Ägide des furiosen Schlagzeugers Jack DeJohnette gaben sich mit dem Pianisten Muhal Richard Abrams und den Holzbläsern Roscoe Mitchell und Henry Threadgill drei legendäre AACM-Helden ein alles andere als altersmildes Stelldichein. Komplettiert wird die Band durch Larry Gray (Bass, Cello). Das Konzert, für das alle Musiker ausser Gray Stücke mitgebracht haben, hat Durchhänger. Die werden mehr als wettgemacht durch atemberaubende Improvisationspassagen voller Leidenschaft und Originalität, die ohne Jazz-Klischees auskommen.
Jack DeJohnette, «Made in Chicago», ECM 2392
Ab 1920 trat Sidney Bechet immer mal wieder in Paris auf, um schliesslich dort ab 1949 seine letzten zehn Lebensjahre zu verbringen. Zugespitzt könnte man sagen: Der Klarinettist und Sopransaxophonist aus New Orleans hat den Jazz an die Ufer der Seine getragen. Auf Bechet folgten zahlreiche weitere «Americans in Paris» aus der Jazzecke; unter ihnen Steve Lacy, der sich voll auf das schwer zu meisternde Sopransaxophon zu konzentrieren begann, nachdem er eine Aufnahme Bechets gehört hatte. Lacy begann als Dixieland-Adept, schloss sich dann aber der Avantgarde an. Eine seiner kuriosesten Aufnahmen machte Lacy 1977 in Paris. Mit dem japanischen Perkussionisten Masa Kwate zelebrierte er einen mysteriös-naiven Art-brut-Minimalismus, bei dem sich Einfälle und Zufälle die Waage halten. Manchmal klingt das so, als ob Lacy stoisch übe, während ein Nachbar einen Nagel einschlägt. Die LP «Shots» ist seit langem vergriffen, nun hat der Lacy-Bewunderer Werner X. Uehlinger sein Exemplar auf sorgfältige Weise digitalisieren und von Lacy-Kenner John Corbett kenntnisreich kommentieren lassen.
Steve Lacy, «Shots», hatOLOGY 680