Der schüchterne Motti wird zum Anführer des Weltjudentums: Thomas Meyers «Wolkenbruchs waghalsiges Stelldichein mit einer Spionin» ist eine schrille Agentenparodie auf den Antisemitismus und nach harzigem Beginn auch sehr lustig.
«Schalom, meine Damen und Herren. Vielleicht kennen Sie mich unter dem Namen Thomas Meyer. Aber das ist nur ein Deckname. In Wahrheit heisse ich Herschel Schreibwut und ich bin ein Agent des Weltjudentums, einer mächtigen Geheimorganisation.» Nein, das ist nicht der Anfang seines neuen Romans, nicht die Fortsetzung des charmanten Bestsellers um den verschüchterten jungen Zürcher Juden Motti Wolkenbruch und seiner wunderlichen Reise in die Arme einer Schickse, einer Nichtjüdin.
Vielmehr hat sich der Zürcher Schriftsteller in einem «Bekennervideo» mit sich selbst und seiner Romanfigur einen Scherz erlaubt und gleichzeitig antisemitische Klischees satirisch zugespitzt. Man wundert sich: Ist das nun geschmackloser Trash-Klamauk oder anarchischer Verteidigungshumor? Immerhin ist Thomas Meyer selbst Jude und twittert regelmässig gegen Antisemitismus.
Auch wer Meyers neuen Roman «Wolkenbruchs waghalsiges Stelldichein mit der Spionin» liest, schwankt dauernd auf einem schmalen Grat: Nur blöd, also unverdaulich, oder doch höherer Blödsinn und deshalb richtig lustig? Im ersten Drittel möchte man diesen Roman immer mal wieder verärgert in die Ecke schmeissen, dann aber wird es richtig lustig. Wenn man denn akzeptieren mag, dass hier ein Autor mit unbekümmertem Klamauk gegen Antisemitismus, Verschwörungstheorien und digitale Hetze anschreibt.
Zunächst fügt Thomas Meyer die Geschichte nahtlos an seinen Vorgängerroman an: Motti schaut aus dem elften Stock des Zürcher Hotels Marriott und fragt sich, was er mit dem Rest seines Lebens anfangen soll. Gleich vorweg: In der Fortsetzung der Motti-Geschichte heiratet dieser nicht seine Laura, wegen der er von den Eltern verstossen worden ist. Thomas Meyer entsorgt die Figur so nebenbei. Ein Foto auf Facebook beendet Mottis Sehnsucht, die er später auf eine Spionin mit einem noch tolleren Tuches (Hintern) verlegt.
Statt einer romantischen Entwicklungsgeschichte serviert Thomas Meyer einen wilden Mix aus James Bond, Ernst Lubitsch, Monty Python. Ob das für sein Thema angemessen ist, darüber gehen die Meinungen der Kritiker sehr weit auseinander. Die Sprache im neuen Roman ist überraschend geglättet. Jüdische Begriffe sind seltene Einsprengsel geworden, was ein schnelles Lesen vereinfacht, aber dem Erzählten viel authentischen Charme raubt.
Genau in der Mitte des neuen Romans legt sich Motti mit einem Buch in Israel in eine Hängematte «und tut, was jeder vernünftige Mensch tut, der von der realen Welt enttäuscht ist: Er beschäftigt sich mit einer erfundenen.» Ein programmatischer Satz.
Meyer schickt seine Leser in abwechselnden Kurzkapiteln zu zwei Verschwörungsbanden. Da ist die Alpenfestung «Germania», die von unbelehrbaren Knallchargen-Nazis gleich nach dem Zweiten Weltkrieg zur Zentrale eines künftigen Vierten Reiches aufgebaut wird. Die faschistischen Maulwürfe finanzieren sich durch den Verkauf von Raubkunst, wollen eine lautlos schwebende Wunderwaffe mit einem aus Israel gekidnappten jüdischen Ingenieur bauen und eine neue Nazi-Rasse züchten. Jahre später entdecken sie, enttäuscht über die Friedensliebe der BRD, eine neue Wunderwaffe: Den Computer, das Smartphone und das Internet, das sie als Hassmaschine gegen die Juden nutzen.
Anderseits ist da ein Geheimbund des Weltjudentums, Orangenzüchter in einem Kibbuz in Israel. Hier landet der als «Schicksenheld aus Zürich» begrüsste Motti Wolkenbruch, muss eine Folter-Initiation bestehen und wird schliesslich zum Chef dieser clownesken Minitruppe. Die wurde gegründet nach dem Motto: «Niemals mehr sollten Juden zu Opfern werden.» Darüber Witze machen, darf nur ein Jude wie Meyer, der auch die Borniertheit der Orthodoxie aufs Korn nimmt.
Motti erweist sich als einfallsreich und erfindet mit einer manipulierten Amazon-Software als Reaktion auf das Hass-Internet ein Liebes-Internet und mit Schoschanna eine jüdische Schwester des Sprechcomputers Alexa, die Israel dank seinem leckeren Essen zum beliebtesten Land machen soll. So richtig Fahrt nimmt die Geschichte auf, als Mottis Mutter sich einmischt und grandiose Rededuelle mit der künstlichen Intelligenz aufnimmt.
Meyers anarchisches Erzählen vermengt auch noch Fiktives mit Realem: Literarische Ohrfeigen erhalten etwa Mark Bergzuckers Facebook, Harvey Steinwein als korrupter Filmmogul oder Alexander Gauland mit seinem Stolz auf die deutschen Weltkriegssoldaten. Meyer überführt Verschwörungstheorien als das, was sie sind: Als Quatsch.
Über 150'000 mal ging «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse» über den Ladentisch. Erschienen ist es 2012. Im ersten Buch dankte er seinem damaligen Verleger André Gstettenhofer, dass dieser an seinen Roman glaubte: «Er muss meschigeh sein.» War er nicht. Der Salis-Verleger hatte einen besonderen Riecher. Auch die letztjährige Verfilmung des Romans war mit 300 000 Eintritten ein Grosserfolg.
Auf seinem realen Twitter-Kanal stellt sich Thomas Meyer vor als «Schweizer Schriftsteller (‹Wolkenbruch›) und Agent des mächtigen Weltjudentums. Kann Chemtrails pupsen.» So unbekümmert satirisch kommentiert er denn auch oft Donald Trump und reagiert regelmässig auf Antisemitismus. So schreibt er etwa: «Gestern von einem Zuschauer erfahren: Die Juden haben den Ersten Weltkrieg angezettelt! Man lernt nie aus. Und einer schreibt doch tatsächlich hierzu: Und verlängert!»
So gesehen ist Thomas Meyers schrille Romansatire nur die Fortschreibung des realen digitalen Kommentarwahnsinns. Am besten also liest man ein paar Twitter-Einträge von Thomas Meyer und dann seinen neuen Roman. So ist man auf das karnevaleske Feuerwerk an unbekümmerter Satire aus dem Geiste des Verteidigungshumors eingestimmt.
Thomas Meyer Wolkenbruchs waghalsiges Stelldichein mit der Spionin, Diogenes, 288 Seiten