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Elfriede Jelinek macht sich in ihrem Stück «Über Tiere» im Zürcher Schiffbau über Sex-Boxen lustig. Bloss wirkt das etwas aufgesetzt, und man hätte sich gewünscht, die Autorin hätte sich weniger explizit in dieses Thema verbissen.
Reglos und mit tiefschwarzen Augenhöhlen sitzt die Schauspielerin Isabelle Menke in einer Felslandschaft. Ihr weisses Brautkleid quillt über die Felsvorsprünge. Doch vom Bräutigam fehlt auf der leeren Zürcher Schiffbau-Bühne am Samstagabend jede Spur. Denn es fehlen die Männer. Dafür ist deren Sprache umso präsenter.
Die österreichische Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek ist eine Expertin für männliche Imaginationen des Weiblichen. In ihrem assoziativen Stück «Über Tiere» thematisiert sie die sprachliche und physische Gewalt an Frauen und die Ausbeutung des weiblichen Körpers.
Für die Inszenierung der deutschen Regisseurin Tina Lanik hat Elfriede Jelinek ihr 2007 von Ruedi Häusermann in Wien uraufgeführtes Stück um einen dritten Teil erweitert, der sich ums Zürcher Sexmilieu dreht.
Die Unmöglichkeit, als Frau in dieser Männersprache vom eigenen Begehren zu sprechen, zeigt Isabelle Menke mit einer grandiosen Einzeldarbietung. Menke setzt an zur Klage gegen den Mann, der ihr weibliches Begehren verkennt. Die nackten Betonwände schlucken ihre Stimme. «Und jetzt raten Sie mal, wen ich mit mir als Frau meine?», fragt sie, und hält uns verzweifelt nicht ihr eigenes, sondern ein leuchtendes Neon-Herz entgegen. Das glitzernde Krönchen auf ihrem Kopf spricht Bände: Beim Versuch, von sich selbst zu sprechen scheitert sie an einer von Männerfantasien infiltrierten Sprache.
«Vollendung in den Mund»
Elfriede Jelinek schrieb das Stück «Über Tiere» 2005 als Reaktion auf die Enthüllungen um die kriminellen Machenschaften einer Wiener Escort-Agentur. In den abgehörten Telefongesprächen hört man Universitätsprofessoren, McKinsey-Mitarbeiter, Politiker und Anwälte minderjährige Mädchen bestellen, passgenau auf ihre oralen und analen Wunschfantasien abgestimmt: Etwas zum «Schmusen», «Arschficken», «Naturfranzösisch mit Vollendung in den Mund», «mit grossen Quasteln» soll her – die Agentur-Mitarbeiter lieferten schnell und pünktlich. Die Protokolle dieser Gespräche wurden später auszugsweise in der Presse veröffentlicht. Elfriede Jelinek war «elektrisiert» von dieser Objektsprache und hat sie in ihrem Stück in einer geschickten Montage der Lächerlichkeit preisgegeben.
Regisseurin Tina Lanik war Mitte der 1990er-Jahre selbst auf dem besten Weg, als Diplomatin in die Welt dieser Klienten einzutreten, die sich öffentlich über Waisenkinder in Osteuropa empören, und sich privat minderjährige Edelprostituierte termingerecht in ihr Hotelzimmer liefern lassen. Doch dann entdeckte sie per Zufall das Theater.
Es ist Lanik hoch anzurechnen, dass sie die Jelinek’schen Telefonmontagen nicht als Steilvorlage für eine Orgie aus Blut und nackter Haut nutzt. Stattdessen konzentriert sie sich auf den Rhythmus, den die sich ständig wiederholenden stereotypen Männerfantasien vorgeben. Die sind bei Lanik eine rein weibliche Angelegenheit: Die grandios poltrige Julia Kreusch klettert mit Lisa-Katrina Mayer und Lena Schwarz in Raubkatzen-Posse über die Felswände, auf denen gerade noch die «echte» Frau (Isabelle Menke) sass. Marktschreierisch brüllen sich die drei Frauen die Marktqualitäten der Prostituierten zu, mit denen auch sie mitgemeint sind, und tragen dabei den riesigen Felsenberg ab. Darunter erscheint ein rotes Auto, das sie abwechselnd als Freier oder Zuhälter – mit angeklebten Schnurrbärten – in Besitz nehmen oder auf dem sie als Prostituierte auf der Frontscheibe in wilden Verrenkungen herumturnen.
Amüsiert und angeekelt
Aus grosser Distanz blickt man amüsiert, aber auch leicht angeekelt auf dieses Spiel, zu dem die Stimme der Münchner-Szene-Musikerin Polly Lapkowskaja am Bühnenrand einen melancholischen Kontrapunkt setzt. In diesen Nuancenverschiebungen hat das Stück seine grossen Momente. Etwa, wenn Isabelle Menkes abwesendes Gesicht hinter der Auto-Frontscheibe auftaucht. Als Vertreterin der weiblichen Welt verfolgt sie den Wahnsinn, den die anderen drei um sie herum veranstalten, als stumme Zeugin.
Im dritten Teil, den Jelinek extra für die Zürcher Inszenierung geschrieben hat, untersucht die Autorin die Durchökonomisierung des Sexmilieus nicht mehr so plakativ. Beschäftigt hat sich Jelinek mit den im letzten Sommer eingeweihten Sex-Boxen in Zürich Altstetten, diesem «Geklüft aus Sperrholz», mit deren Errichtung das Stimmvolk einverstanden gewesen war. Das müsse schon seine Richtigkeit haben, witzelt Jelinek, denn: «Das Volk stimmt.»
Diese Sex-Boxen-Litanei wirkt dann schliesslich doch etwas aufgesetzt, und man hätte sich gewünscht, die Autorin hätte sich weniger explizit in dieses Thema verbissen. Mit der Frage, wie man den Austausch der Körperflüssigkeiten in diesen «Schachteln» juristisch fassen soll, endet dieser aufrüttelnde Abend, über dessen Längen man gerne hinwegsieht.
Über Tiere im Zürcher Schiffbau/Box. Bis 9. März. Am 28.2., 3.3, 5.3, 11.3. und 20.3. mit Experten-Einführungen zum Thema Prostitution.