Der Kulturaustausch mit Afrika beruht auf Gegenseitigkeit. Tänzer aus dem Kongo und Südafrika arbeiten derzeit im Roxy Birsfelden. Der Basler Regisseur Elia Rediger hat sein neustes Stück im kongolesischen Kisangani geprobt.
Um zu erkennen, was das Zuhause eigentlich ist, tut es gut, die heimatliche Scholle für einige Zeit zu verlassen. Erst aus der Distanz entsteht so was wie Überblick. In der Kulturförderung wurde dies schon lange erkannt. Aufenthalte in einem der zahlreichen Auslandateliers sind in vielen Künstlerbiografien Marksteine in der Entwicklung des eigenen Werks. Kommt hinzu, dass durch solche Residenzen neue Netzwerke geknüpft werden. Zumindest ist das in der westlichen Hemisphäre so.
Anders ist das beispielsweise in Kisangani. Die Stadt im Nordosten der Demokratischen Republik Kongo hat so viele Einwohner wie Zürich, aber nicht ein einziges funktionierendes Theater. Wer hier als Schauspieler, Tänzer oder Künstler überleben will, muss wissen, was er tut. «Wir gehören zur ersten Künstlergeneration in Afrika, die sich entschieden hat, nicht wegzugehen», erzählt Faustin Linyekula auf der Dachterrasse des Theaters Roxy in Birsfelden. Der kongolesische Theaterwissenschaftler, Tänzer, Choreograf und Musiker hat nach Aufenthalten in London und Paris 2001 in seiner Heimatstadt die Studios Kabako gegründet. Ein interdisziplinärer Ort, wo Künstler aus den Bereichen Tanz, Musik, Video und Kunst zusammenarbeiten. Das Zentrum dient vor allem dem innerafrikanischen Austausch, beherbergt aber immer wieder auch Künstlergruppen aus Europa (siehe Artikel unten).
Gemeinsam mit dem renommierten südafrikanischen Tänzer und Performer Boyzie Cekwana hat der Kongolese Linyekula vor vier Jahren das Projekt «Redefining Homework» in Leben gerufen. Beide Künstler sind von einer Idee beseelt. «Wir sprechen seit 17 Jahren immer wieder über diese Frage», sagt Cekwana: «Wie schaffen wir es auf dem afrikanischen Kontinent über die nationalen Grenzen hinweg, unsere ethischen und politischen Werte zu entwickeln und zu teilen?»
«Entwickeln» ist das Stichwort. «Wir müssen unsere Kunst, unsere Identität neu erfinden. Bisher wurde unsere Geschichte von der Kolonisation geprägt und von den Kolonisatoren erzählt» sagt Cekwana. «Es ist höchste Zeit, dass wir das selbst in die Hand nehmen. Wir müssen ein eigenständiges Bild von uns selbst, eine Idee von unserer Identität entwickeln.»
Das vierte Treffen in vier Jahren
Mit «Redefining Homework» geben die beiden international bekannten Choreografen jungen Tänzerinnen und Tänzern die Chance, ihre eigene Sprache zu entwickeln – und zwar über Sprachgrenzen hinweg. Neun junge Talente aus dem Kongo und aus Südafrika trafen sich in den letzten drei Jahren zu drei einmonatigen Workshops in Durban und in Kisangani. Im vierten Jahr nun durften drei kongolesische Tänzer und eine südafrikanische Tänzerin für rund zwei Monate nach Europa, genauer nach Birsfelden ins Theater Roxy. Das ehemalige Kino mit Studiobühne, Gästezimmern, Küche und Aufenthaltsräumen bietet sich für eine solche Residenz geradezu an. Flug- und Essenspesen der Künstler wurden von der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia, dem Basler Atelier Mondial und dem Migros Kulturprozent übernommen.
Für die Südafrikanerin Tegan Peacock und ihre kongolesischen Partner Jeannot Kumbonyeki, Papy Ebotani und Michel Kiyombo sind das traumhafte Bedingungen. Schliesslich stammen sie aus Ländern, wo es wenig bis keine Subventionen gibt, im Gegenteil: «Wir mussten dem Ministerium zehn Dollar bezahlen, damit wir ausreisen konnten», erzählen sie.
Sechstagewoche im Roxy
Beim Treffen im Roxy berichtet Michel Kiyombo, wie er zu Hause seinen Lebensunterhalt mit Kleinhandel verdient. Mit Tanz sei das unmöglich. Trotzdem will er in seiner Heimat arbeiten, wie die anderen drei auch. Papy Ebotani, der Älteste im Quartett, ist bereits weltweit an Festivals aufgetreten. Für die anderen ist es erst die zweite oder dritte Reise weg vom afrikanischen Kontinent. Sie nutzen ihre 50 Tage in Birsfelden intensiv. «Wir arbeiten sechs Tage die Woche.» Abends geht es wenn immer möglich ins Theater.
Ganz im Sinne des Workshops sind die Proben ergebnisoffen. Es gehe nicht darum, am Ende der Residenzzeit ein fertiges Stück vorweisen zu können. Die Tänzerin und der Tänzer arbeiten an ihrer Körpersprache, suchen neue Ausdrucksweisen, versuchen sich über Sprachbarrieren hinweg zu verständigen. Die Südafrikanerin Peacock versteht kein Wort Französisch. Ihre drei Partner sprechen nur sehr wenig Englisch. «Das klappt mal besser, mal weniger», sagt Peacock. Das Zwischenresultat dieser innerafrikanischen Suche nach einer eigenständigen, kontinentalen Sprache zeigen die Künstler am Samstag, 3. Juni, um 16 Uhr im Roxy Birsfelden.
Die im oben stehenden Artikel erwähnten Studios Kabako in der kongolesischen Stadt Kisangani dienen nicht bloss dem innerafrikanischen Kulturaustausch. Auch Schweizer Künstler profitieren von der Infrastruktur des 2001 gegründeten Zentrums.
Der Musiker, Regisseur und Autor Elia Rediger war in der Saison 2105/16 Hausautor am Konzerttheater Bern. Für sein neustes Projekt «Oh Boyoma» entwickelte er in Zusammenarbeit mit Künstlern aus der Demokratischen Republik Kongo ein Stück über Hoffnungen und Vergangenheit. Dafür konnte das Ensemble einen Monat lang in den Studios in Kisangani arbeiten.
Rediger ist dem Kongo durch seine Familiengeschichte verbunden. Er ist in Kinshasa geboren. Seine Eltern, Bauern aus Basel, arbeiteten in Nyanja, einem kleinen Dorf nahe der Stadt Tshikapa als Entwicklungshelfer in der Landwirtschaft. Sein neustes Stück gehört zu einem Zyklus von Zukunftsbildern.
«Irgendwo am Kongofluss befinden wir uns in einer Quarantänestation, einige Kilometer entfernt von einer Stadt, in die eine vergessene Sehnsucht uns treibt. Nach einer Zeit zerstörerischer Kriege ist dieser Ort wieder zu einem weissen Fleck geworden, Ströme, Seen und Namen auf der Landkarte sind verschwunden. Vergessen von der internationalen Gemeinschaft, global agierenden Unternehmen und Hilfsorganisationen entwickelte sich die Stadt zu einem autarken Raum voll köstlicher Geheimnisse», heisst es in der Beschreibung zum Musiktheaterstück «Oh Boyoma». Dessen Untertitel lautet: «387 Strophen über eine Stadt ohne Namen».
Während der Proben sei der exzessive Gebrauch von Facebook zum Thema geworden, sagt Rediger. «Das funktioniert dort besser als alles andere.» Dem Autor geht es aber mehr um das Bild, das wir uns von Afrika machen – und umgekehrt. «Es geht darum, dass wir uns fremd sind, und wohl ein Stück weit auch immer fremd bleiben werden», sagt der Regisseur, der vor seiner Theaterkarriere als Sänger und Autor der Basler Pop-Band The Bianca Story bekannt geworden ist. Ihn interessiere diese Differenz. «Gerade im Fremdsein liegt doch auch Inspiration.»
Weil unser Afrikabild ein kolonialisiertes, also von uns geprägtes Bild sei, würden viele Künstler dieses Thema übervorsichtig behandeln, meint Rediger. Die Vorsicht gehe sogar so weit, dass ihm von Basler Theaterleitern geraten worden sei, das Stück doch bitte von einem kongolesischen Regisseur inszenieren zu lassen, damit sich keine falschen Bilder einschleichen.
«Dabei sind die Missverständnisse und Zerrbilder ja gegenseitig. Ich finde, wir dürfen diese auch im Raum stehen lassen, anstatt sie zu harmonisieren», sagt er. «Wir müssen auch mal falsch liegen können.»
«Oh Boyoma»: Premiere, Freitag, 2. Juni, 18.30 Uhr. Vorstellungen bis Freitag,
16. Juni. Spielort: Heitere Fahne, Bern. Infos unter konzerttheaterbern.ch.