Mein Lieblingswerk
Thomas Ritz: «Traumatische Metapher für eine verlorene Gegenwart»

Der Basler Künstler Thomas Ritz wählt Edgar Degas Bild «Jockey blessé» von 1896/1898 als Lieblingswerk aus dem Kunstmuseum Basel.

Thomas Ritz
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Edgar Degas: «Jockey blessé», um 1896/1898, Öl auf Leinwand, 180.6 x 150.9 cm.

Edgar Degas: «Jockey blessé», um 1896/1898, Öl auf Leinwand, 180.6 x 150.9 cm.

MARTIN P. BÜHLER / KUNSTMUSEUM BASEL

«Es gibt Bilder, die einem nicht aus dem Kopf gehen. «Jockey blessé» von Edgar Degas in den Jahren 1896/98 gemalt, ist eines davon. Als ich das Bild als Jugendlicher das erste Mal im Basler Kunstmuseum sah, überraschte mich seine formale Einfachheit. Bei näherer Betrachtung erhob sich plötzlich sein mächtiges, mit gelbem Ocker untermaltes Grün, das sich weit in den Himmel vorschob.

Darüber ein Pferd mit gestreckten Hufen und darunter eine leuchtende Figur in Gelb und Weiss. Was ging hier vor? Versuche ich, mir das Geschehen zu vergegenwärtigen, kann der Reiter nicht von diesem Pferd gestürzt sein. Tatsächlich malte Degas von zwei verunglückten Jockeys nur einen. Im festgehaltenen Augenblick der Bildszene liegt dieser am Boden und wird vom herrenlosen Pferd, des vor ihm gestürzten Mitstreiters, überholt, während sein eigenes Pferd ihn schon längst hinter sich gelassen hat.

Diese Geschichte mag einiges klären. Aber Degas zeigt hier nur eine bestimmte Sequenz des Geschehens. Sie entwickelt sich zu einer traumatischen Metapher für eine verlorene Gegenwart zwischen Vergangenheit und Zukunft. Das angestrebte Dream-Team von Reiter und Pferd ist gescheitert, die Verschmelzung von Mensch und Tier als unbesiegbare Einheit endet im Desaster.

Zurück bleiben die bruchstückhaften Momente des Pferdes und des Jockeys, gebannt auf einem abfallenden Stück schattigen Hügel, fernab jeden Publikums. Nur für den Betrachter bestimmt, überspringt das Pferd mit seinem flüchtigen Blick den Gestürzten, liegt der Reiter einfach nur da, aufgesogen vom Gras, vielleicht leblos und mit leerem Blick zum Himmel.

Es ist genau das, was mich an diesem Bild nicht loslässt und für meine eigene Arbeit von Bedeutung ist: die Erfahrung des Malers von sichtbarer Wirklichkeit und die an sich ambivalente Sichtbarkeit des Bildes als poetische Differenz.

Degas Bild «Jockey blessé», zeigt die Gleichzeitigkeit zweier Verluste, die vom Reiter und die des Pferdes. Hier wird das Bild zur Metapher einer Verletzung. In ihm bricht sich das Sichtbargemachte mit dem Vorstellbaren als reine Poesie.»

Jockey blessé ist bis 21. Februar in der Ausstellung «Cézanne bis Richter» im Museum für Gegenwartskunst zu sehen.