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Ariane von Graffenried pendelt in «Babylon Park» lustvoll zwischen «Bärndütsch» und anderen Sprachen.
«Dr Dialäkt ligt im Spitaubett u muderet vor sech häre.» So beginnt eine der Kurzgeschichten der Berner Autorin und Theaterwissenschafterin Ariane von Graffenried. Doch eigentlich gibt es für den Dialekt keinen Grund zur Klage, denn bei den Poeten und dem Publikum ist er beliebter denn je. Verlage und Festivalveranstalter widmen sich dem Dialekt und den Spoken-Word-Künstlern. Die 38-jährige Ariane von Graffenried ist eine von ihnen. Ihre Texte ergeben in Kombination mit der Geräusch- und Musikkulisse von Robert Aeberhard, mit dem sie im Duo «Fitzgerald & Rimini» zu hören ist, ein Klangkunstwerk – durchdrungen von Poesie, Schalk und Experimentierlust.
Mit ihrem neuen Buch verlässt sich die Dichterin nun ganz auf das geschriebene Wort. «Eine Performance ist vergänglich. Ich hatte immer den Wunsch, diesen Moment zu konservieren», sagt Ariane von Graffenried, die gut gelaunt mit rot geschminkten Lippen und rot lackierten Fingernägeln zum Gespräch erscheint und ihr Gesicht in Richtung Frühlingssonne streckt. «Ich würde mir wünschen, dass sich die Texte von meiner Interpretation lösen, dass sie zur eigenen inneren Stimme werden.»
Und das funktioniert erstaunlich gut. Die 43 Texte im Band «Babylon Park» können für sich bestehen, auch wenn einige davon ihre volle Klang-Wirkung erst in der Performance entfalten – die im E-Book mitgelieferten Audiobeispiele zeugen davon. Die Bernerin spielt lustvoll mit der Sprache, wechselt rasant zwischen Bärndütsch, Hochdeutsch, Französisch, Englisch, streut albanische oder rumänische Sprach-Brocken ein. Sie zelebriert die babylonische Verwirrung, lässt die Leser an einer Klippe im Ozean der Sprachen auflaufen, bevor sie diese wieder mit melodiösem Klang abholt. In ihren verschroben-melancholischen Geschichten wird mit Elan «brüelet», «gmöögget», «gheebet» und «päägget». Nebst Experimentellem in Gedichtform stehen kurze, funkelnde Prosa-Texte. Im Buch versammelt sie Werke aus den letzten zehn Jahren, unveröffentlichte und solche aus den Bühnenprogrammen mit «Fitzgerald & Rimini» oder mit dem Kollektiv «Bern ist überall».
Im Kapitel «Porträts und Hommagen» huldigt sie ihren Schwestern im Geiste, wie der schillernden Dadaistin Elsa von Freytag-Loringhoven oder der Punk-Ikone Patti Smith. Oder sie begleitet den Künstler Adolf Wölfli, der im «Ämmitau» hinter dem Ofen sitzt und «sech Potz Chrütz Million eine abschimpft». Im Teil «Grand Tour» fängt sie Töne aus Europa ein. So lauscht sie in Brüssel den polyglotten Eurokraten und kommt sich dabei etwas überflüssig vor: «Though I’m not part of it, nevertheless, je me baigne dans ses langues. I nime Sprachbeder en masse, touchen ab, j’adore les bains de langues...». Und im Kapitel «Agglo» verhandelt sie ironisch ihre eigene Abstammung aus einer Berner Patrizierfamilie. Zwei aus einem Vampir-Film gefallene tote Patrizier wanken in der Geschichte «Arischtokratii u Wahnsinn» in Samt und Seide durch die Berner Agglo und versuchen, sich mit der ungastlichen Gegenwart zu arrangieren.
Die Bandbreite ihres Schaffens kommt im neuen Band gut zur Geltung. «Ich habe eine Schwäche für Hybrid-Formen», sagt die Sprachakrobatin. Für ihre vielstimmigen Texte bediene sie sich wie eine Malerin verschiedener Farben und Materialien. Und sie läuft mit offenen Ohren durch die Welt: «Manchmal führt mich die Sprache zum Inhalt: Wenn ein Klang eine Assoziation auslöst, entsteht daraus eine Geschichte», sagt sie. Zuweilen lauscht sie ihre Erzählungen auch dem Leben ab oder setzt einen ironischen Kommentar zu politischen Diskussionen. Wie im Text «Dialäktpfleeg», in dem sich der Dialekt als eingebildeter Kranker zwischen einer überbehütenden Mutter und einer vereinnahmenden deutschen Pflegerin behaupten muss. «Mir ist ein sorgfältiger Umgang mit der Sprache wichtig», sagt Ariane von Graffenried. «Aber in Stein meisseln lässt sich der Dialekt nicht, er ist im steten Wandel.» Und ebendiesen spielerischen Umgang zeigt die Poetin in ihrem Werk.