Opernhaus Zürich
«Sehr geehrte Frau Gruberova ...»: Ein Brief an die Königin der Oper Zürich

Vincenzo Bellinis selten gespielte Oper «La straniera» wird dank Koloraturwunder Edita Gruberova am Opernhaus Zürich ein Triumph. Christof Loy inszenierte, Chefdirigent Fabio Luisi dirigierte.

Christian Berzins
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«Kein Brillant ist zu teuer für Ihren Hals»: Edita Gruberova als Straniera.

«Kein Brillant ist zu teuer für Ihren Hals»: Edita Gruberova als Straniera.

Monika Rittershaus

«Sehr geehrte Frau Gruberova ...»

Vorbei das Warten, vergangen 10 Jahre, 6 Monate, 4 Tage: Am Sonntag stand am Opernhaus Zürich eine Premiere an und Ihr Name leuchtete vom Besetzungszettel! Nach einem Streit mit dem Hausherrn hatten Sie 2002 die Opernhaustür zugeknallt. Der Tyrann ist weg – und nach einem ersten Wiederaufnahme-Zückerchen letzten Herbst singen Sie nun im Alter von 66 Jahren die Festspielpremiere! Ein Opernfest, wenn nur diese Belcanto-Dramen nicht so abstrus wären, diesmal Vincenzo Bellinis «La Straniera».

A soll B heiraten, liebt aber die «Fremde» F, die offenbar C besser mag, weswegen C von A getötet wird und A sich gleich selbst richtet. Kaum passiert, stehen die zwei wieder auf der Bühne (C ist der Bruder von F!). A muss B heiraten. Ists getan, ersticht sich A und F entpuppt sich als Königin von Frankreich.

Das hält, verehrte Frau Gruberova, keiner aus. Und, nachdem man Ihnen vorgeschlagen hatte, «Straniera» zu singen, sagten Sie ja selbst, dass Sie beim Hören eingeschlafen seien. Auch unser Schicksal wäre im Opernhaus das gleiche gewesen, aber wir hatten das kolossale Vergnügen, Sie in der Titelrolle zu erleben.

Bellini macht es spannend. Fast eine halbe Stunde geht es, bis ein Laut von Ihnen zu hören ist – und den singen Sie erst noch im Verborgenen! Dann endlich kann man Sie sehen (das schwarze Kleid steht Ihnen bestens!). Nur schade, dürfen Sie jetzt nicht gleich eine Arie singen, sondern müssen sich von einem Tenor mit grossem Bauch im Duett anschmachten lassen. Egal. Auch nachher im Terzett oder Ensemble: Mein Ohr filtert Ihre Töne heraus, da mag Fabio Luisi noch so toll dirigieren. Zugegeben: Die anderen sind nicht schlecht, gerade dieser Tenor, Dario Schmunck (Arturo). Auch Franco Vassallo (Valdeburgo), Benjamin Bernheim (Osburgo) und Veronica Simeoni (Isoletta) singen prächtig. Aber was bleibt übrig, wenn man diese Opernhandwerker mit Ihnen vergleicht?

Edita Gruberova Szene aus "Beatrice di Tenda" von Vincenco Bellini (1801 - 1835); von links: Stefania Kaluza als Agnese del Maino; Piotr Beczala als Orombello; Michael Volle als Filippo Maria Visconti; Edita Gruberova als Beatrice di Tenda. Am Samstag, 16. Juni 2001 fand die Premiere als Schweizer Erstauffuehrung im Opernhaus Zuerich statt. Wie jede Oper Bellinis birgt auch "Beatrice di Tenda" zahlreiche leuchtende Momente, farbige Choere, feurige Duette und natuerliche immer wieder die unvergesslichen Melodien.
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Edita Gurberova Edita Gruberova (links) und Laszlo Polgar (rechts) in Bellinis Oper I puritani, die am Sonntag 15. November 1998 im Zuercher Opernhaus Premiere feierte. Im Mittelpunkt der Zuercher Neuinszenierung von Bellinis letzter Oper, die kurz vor seinem fruehem Tod im Jahre 1935 zur Urauffuehrung kam, steht Edita Gruberova als eine der groessten Koloratursopranistinnen unser Zeit.
Edita Gruberova Szene aus "Beatrice di Tenda" von Vincenco Bellini (1801 - 1835); von links: Piotr Beczala als Orombello; Edita Gruberova als Beatrice di Tenda. Am Samstag, 16. Juni 2001 fand die Premiere als Schweizer Erstauffuehrung im Opernhaus Zuerich statt. Wie jede Oper Bellinis birgt auch "Beatrice di Tenda" zahlreiche leuchtende Momente, farbige Choere, feurige Duette und natuerliche immer wieder die unvergesslichen Melodien.
Edita Gruberova Edita Gruberova als ''Amina'' singt in der Oper ''La Sonnambula'' von Vincenzo Bellini (1801-1835) unter der musikalischen Leitung von Marcello Viotti in einer Inszenierung von Grischa Asagaroff, undatierte Probenaufnahme. Die 1831 uraufgefuehrte Oper hatte am Samstag, 19. Januar 2002 im Opernhaus Zuerich Premiere
Edita Gruberova Reinaldo Macias, links, und Edita Gruberova, rechts, aufgenommen am 1. April 2000, waehrend den Proben der Oper "Anna Bolena" von Gaetano Donizetti, die am Sonntag, 2. April 2000 im Opernhaus Zuerich Premiere feiert

Edita Gruberova Szene aus "Beatrice di Tenda" von Vincenco Bellini (1801 - 1835); von links: Stefania Kaluza als Agnese del Maino; Piotr Beczala als Orombello; Michael Volle als Filippo Maria Visconti; Edita Gruberova als Beatrice di Tenda. Am Samstag, 16. Juni 2001 fand die Premiere als Schweizer Erstauffuehrung im Opernhaus Zuerich statt. Wie jede Oper Bellinis birgt auch "Beatrice di Tenda" zahlreiche leuchtende Momente, farbige Choere, feurige Duette und natuerliche immer wieder die unvergesslichen Melodien.

Öffnen Sie in Zürich den Mund, fliegen die Töne von einem seidenen Teppich getragen los, umkreisen den Erdball und kommen um tausend zauberhafte Köstlichkeiten bereichert sogleich zurück ins Haus. Nur Kleingeister sagen, es klinge nicht mehr so wie einst (zugegeben: Der Wackler auf «Un» bei «Un grido io sento» war etwas furchterregend). Sie «schreien» jetzt bisweilen auch, wenn es die Szene verlangt – und die sterbenden Töne verhallen tatsächlich abgründig im Nichts. Sie sind eine Operndramatikerin geworden. Aber nach wie vor balancieren Sie auch auf dem Stimm-Hochseil, beschenken uns mit zuckersüssem Kantilenenspiel, waghalsigen Trillerketten und tobenden Koloraturen. Sie crescendieren und diminuieren auf einem Ton, als seis ein Kinderspiel.

Aber es ist dennoch nicht die Perfektion, die die Emotion erzeugt, wie manche meinen. Ihre Perfektion macht Schaudern, das schon. Aber diese schiere Unfehlbarkeit fördert auch Töne, die zärtlich weinen. Ihre Technik erlaubt es Ihnen, die Farbe und somit den Charakter jeder Note zu verändern: So erhält ein «amo» eine Träne geschenkt, die bittersüss aus verliebten Augen rinnt.

Zum Schluss in der schönen Inszenierung von Christof Loy wird aus der «Fremden» die Königin. Sie schmücken sich mit den tollsten Klunkern – zu Recht! Kein Brillant ist zu teuer, um sich um Ihren Hals, um diese Stimmbänder zu legen. Ihr treuer

Christian Berzins

P.S. «Straniera» soll Ihre letzte Neuproduktion in Zürich gewesen sein? Nicht doch! Schenken Sie uns noch Bellinis «Norma»! Wir warten. Allerdings nicht wieder zehn Jahre.

La Straniera: Zürich, fünf Mal bis 14. Juli