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Nobelpreisträger trifft Alien

Max Rüdlinger
Max Rüdlinger
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Ich bin in Flums aufgewachsen. Nach der sechsten Klasse aber sind meine Eltern nach Zug gezogen, unter anderem weil es zuzeiten im Sarganserland noch keine höhere Schule gegeben hat. So bin ich ein Nostalgie-Flumser, und mich interessiert alles, was mit dem 5000-Seelen-Dorf zusammenhängt. Kürzlich bin ich auf den amerikanischen Nobelpreisträger Kary Banks Mullis gestossen. Da klingelte es bei mir: Das muss einer mit Flumser Wurzeln sein. Und tatsächlich konnte ich in Erfahrung bringen, dass Vorfahren dieses Amerikaners aus dem Ort meiner Kindheit stammen. Das Dorf ist – abgesehen von den Flumserbergen – nicht gerade eine Lokalität, über die die Götter ihr Füllhorn ausgeschüttet haben, und so sind nicht wenige Flumser im 19. Jahrhundert ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten ausgewandert. Vor Jahren soll Mullis das Heimwesen seiner Ahnen am Chliibärg (Kleinberg) aufgesucht haben.

Keine Frage, dass ich mir die Autobiografie «Dancing Naked in the Mind Field» des wissenschaftlichen Würdenträgers beschafft habe. Toller Titel, insbesondere für einen Naturwissenschafter! Ich erfuhr, dass Mullis als Biochemiker forschte und 1993 den Nobelpreis zusammen mit einem weiteren Chemiker für die Entwicklung der Polymerase-Kettenreaktion (PCR) erhielt. Sie soll für die Erkennung von Virusinfektionen, Erbkrankheiten, genetische Fingerabdrücke und das Klonen von Genen unabdingbar sein. Für mich ein Buch mit sieben Siegeln.

Auf dem Einband ist der nobilitierte Chemiker in Badehosen mit einem Surfbrett unter dem Arm abgebildet. Der Verlag schreibt, dass es sich bei Mullis um den exzentrischsten Nobelpreisträger der Welt handelt. In den 1960er-Jahren experimentierte er mit LSD und bezweifelt, dass er PCR auch ohne psychedelische Drogen hätte entdecken können. Leidenschaftlich und nicht ohne Humor kommt in seiner Autobiografie ein breites Spektrum an Themen zur Sprache: von globaler Erwärmung bis zum O.-J.-Simpson-Prozess, von giftigen Spinnen bis HIV, von wissenschaftlicher Methodik bis zur Astrologie. Den Mann zeichnet wahrlich eine grosse Neugierde aus. In bester wissenschaftlicher Manier verschmäht er es, Ansichten aus zweiter Hand ungeprüft für bare Münze zu nehmen. So bezweifelt er wissenschaftliche Theorien über Ozonloch, Klimawandel und den Zusammenhang zwischen HIV und AIDS. Auch hat er stets ein Auge darauf, was für pekuniäre Interessen zu sogenannt wissenschaftlichen Verlautbarungen geführt haben könnten.

Den Gipfel aber stellt seine Nahbegegnung der dritten Art dar. Eines Abends fuhr er – ohne sich auf einem LSD-Trip zu befinden – in seine Hütte in den Bergen Montanas. Auf dem Weg zur Latrine begegnete er einem grünlich fluoreszierenden Waschbären, der ihm «hello» zurief. Ab diesem Moment setzte sein Bewusstsein aus, das er erst am darauffolgenden Morgen auf dem Weg, der von der Überlandstrasse zur Hütte führt, wiedererlangte. Auf dem Weglein zur Latrine will er seine Taschenlampe wieder aufgefunden haben.