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Angelika Waldis erhält heute den ZKB-Schillerpreis für ihren Roman «Ich komme mit». Dieser hat kürzlich auch eine andere, ganz besondere Auszeichnung erhalten. Eine Spätzünderin startet durch.
Jurypreise sind etwas Schönes. Aber wenn die Schweizer Buchhändler und Buchhändlerinnen ihren Favoriten des Jahres erküren, will das noch mehr heissen. Sie sind ja im täglichen Kontakt mit der lesenden Kundschaft.
Im April wurde der gebürtigen Luzernerin Angelika Waldis diese Ehre zuteil. Dies für ihren 2018 erschienenen Roman «Ich komme mit» über die ungewöhnliche Freundschaft zwischen einer alten Frau und einem todkranken jungen Mann. Heute wird die 79-Jährige für das Buch auch mit dem ZKB-Schillerpreis ausgezeichnet. Den haben vor ihr schon Leute wie Peter Stamm und Charles Lewinsky geholt.
Angelika Waldis ist eine Spätzünderin. Erst mit über 60, als sie zusammen mit ihrem Mann in Pension ging, erfüllte sie sich ihren Traum, Literatur für Erwachsene zu schreiben. Eine Anfängerin war sie aber nicht. Jahrzehntelang schrieb sie als Journalistin oder als Redaktorin der Jugendzeitschrift «Spick». Aber fiktionale Texte für Erwachsene – das war Neuland. Und es sollten weitere Jahre vergehen, ehe 2005 mit «Rocco und Jele» der erste Roman erschien. Er handelt von einer asymmetrisch verlaufenden Beziehung, erzählt in der ersten Hälfte vom Mann und in der zweiten von der Frau.
«Es war schwierig, einen Verlag zu finden», berichtet Waldis. «Und es dauerte noch länger, bis das Buch endlich publiziert war.» Doch sie liess sich nicht entmutigen. So folgen weitere Romane wie «Marktplatz der Heimlichkeiten» oder «Aufräumen», in dem die Protagonistin gleich am Anfang ihren Ehemann loswird.
Im neusten Buch, «Ich komme mit», hat Waldis all ihre Qualitäten als Autorin eingebracht. Dabei überzeugt die Perspektive des jungen Mannes überraschend genauso wie diejenige der alten Frau. Und die Sprache vermag Emotion und Humor gleichermassen zu transportieren, in einer unprätentiösen, knappen und dafür umso genaueren Sprache.
Dass sie dieses Jahr 80 wird, erfüllt sie mit der Sorge, nicht mehr genug Zeit für ihre weiteren Pläne zu haben. Aber es hat auch Vorteile: «Inzwischen ist meine Festplatte voller Lebenserfahrung. Daraus kann ich als Autorin schöpfen.» Bereits hat sie einen weiteren Roman verfasst und hofft auf eine baldige Publikation. «Es geht um vier Personen einer Familie, auch um ihre Geheimnisse, die nicht nur schön sind.»
Ohnehin ist das Thema Familie für sie, die heute noch mit ihrer ersten grosse Liebe verheiratet ist, von zentraler Bedeutung. «Familie ist ein dynamisches Feld mit versteckten Minen», sagt die zweifache Mutter und dreifache Grossmutter, die heute in Gockhausen lebt. «Und es ist nicht selbstverständlich, dass man einander gern hat. Aber zugleich ist es auch das Wichtigste im Leben. Ich bin froh, dass ich es selber sehr gut mit meiner Familie habe.»
Das trifft nicht unbedingt auf die Protagonistin ihres 2008 erschienenen Romans «Die geheimen Leben der Schneiderin», der soeben neu aufgelegt worden ist, zu. Jolie sitzt in ihrem Atelier und flickt oder ändert Kleider. Sonst passiert wenig in ihrem Leben. Ausser den Zumutungen ihrer Familie, zumal ihre Geschwister ihr nur zu gerne den Kontakt zur dementen Mutter überlassen.
Eine Frage überschattet ihr Dasein: Vor fast 30 Jahren kam ihr damals 17-jähriger grosser Bruder nicht von einem Badeausflug zurück. Doch ist er tatsächlich ertrunken? Oder hat er sich aus dem Staub gemacht, um fern vom Familienmief neu zu beginnen?
Als Jolie ihr Atelier gekündigt wird, beschliesst sie, ihr strukturiertes und auf die Bedürfnisse anderer ausgerichtetes Leben hinter sich zu lassen. Und den Bruder zu suchen. Die Spur führt nach Südamerika.
So wie sich Jolie ins Ungewisse wagt, ist auch für Angelika Waldis jedes Buch ein Abenteuer. «Wohin sich die Geschichte oder die Figuren schliesslich entwickeln, ergibt sich oft erst während des Schreibens.» Der nächste Roman, den sie verfassen will, soll sie in die Zeit ihrer Luzerner Kindheit und Jugend zurückführen.
Angelika Waldis «Ich komme mit». Wunderraum 2018, 224 S.
«Die geheimen Leben der Schneiderin». Wunderraum 2019 (Neuauflage), 192 S.