Milena Moser über ihr neues Leben und ihre Liebe in einem Land, das gerade untergeht.
Milena Moser: Ich bin nicht gerne aus den USA weggegangen. Ich habe Freunde, die wirklich Angst haben. Mir als Schweizerin kann nichts passieren. Gerade deshalb wäre ich jetzt gerne dort. Um zu schauen, was passiert, und um davon zu erzählen. Eine Freundin hat mir heute geschrieben: «Wenn Du zurückkommst, werden wir im Gefängnis sein.»
Als das Resultat eigentlich schon klar war, hatte ich immer noch das Gefühl: Das ist doch einfach nicht möglich. Ich kannte auch niemanden ausser Victor, der das für möglich gehalten hätte.
Er ist Mexikaner und hat immer gesagt: Ich habe schon einmal erlebt, wie ein Land vor die Hunde geht. Er ist sehr pessimistisch.
Am Tag danach hatte ich das Gefühl, ich wache auf und die Welt ist nicht mehr da. Ich hatte eine Lesung an einer Universität in Alabama, dort sind die Studenten mehrheitlich Republikaner. Das waren kluge junge Leute, nur... ich glaube, die Hälfte der Leute dort hat Trump in erster Linie gewählt, weil er keine Frau ist. Was die jetzt denken, weiss ich nicht.
Ein Teil ist zutiefst erschüttert und deprimiert. Ein Psychiater hat mir gesagt, er habe bei seinen Patienten die Medikamente anpassen müssen. Er sehe bei ihnen ein posttraumatisches Stress-Syndrom. Die anderen wollen das nicht zulassen. Sie gehen an Demos oder schreiben an ihre Kongressabgeordneten. Santa Fe und San Francisco, wo ich oft bin, sind beides Sanctuary Cities.
Milena Moser (53) sieht gut aus. Frisch, erholt und voller Energie. Ganz anders
als vor zwei Jahren, als sie – noch von ihrer zweiten Scheidung erschöpft – ihr damaliges Buch vorstellte. Das Buch, das von ihrer Suche nach dem Glück erzählte: Von ihrer Reise durch die USA, die sie sich zum 50. Geburtstag geschenkt hatte. Davon, wie sie sich statt in einen neuen Mann in ein Häuschen verliebte. Und wie sie sich zu dem Entscheid durchrang, abermals auszuwandern – sie hatte schon einmal acht Jahre in San Francisco gelebt.
Doch wie fast jede Fortsetzung kommt ihr neues Buch «Hinter diesen blauen Bergen» nicht an die Kraft des Vorgängers heran. Der Anfang ist bedrückend: Milena Moser hat wieder mit Reiten angefangen. Sie malt einen «sunset ride» in der «Landschaft ihrer Mädchenträume» auf die Buchseiten, im Kopf springen die Bilder vom Marlboro Country an – da ist Sehnsucht, Freiheit, Farbe, durchsetzt mit der für Moser typischen Ironie. Die Liebe findet sie doch noch, aber damit kommen neue Probleme.
Kolumnenartig erzählt Milena Moser aus ihrem neuen Leben, und doch beschleicht einen das Gefühl, man habe das so ähnlich schon einmal gelesen. (ASS)
Die Bürgermeister dieser Städte haben relativ schnell nach den Wahlen gesagt, dass sie ihre illegal eingewanderten Leute nicht denunzieren würden. Das ist offenes Widersetzen. Es heisst natürlich, dass Trump ihnen den Geldhahn zudrehen wird. In San Francisco ist das nicht so schlimm, das ist eine reiche Stadt. In Santa Fe ist das anders.
Es ist viel wichtiger, ein Zeichen zu setzen – auch gegen aussen: Dass das, was jetzt passiert, nicht amerikanisch ist und der Verfassung total widerspricht. Das Gefährliche ist ja auch, dass man denkt, hier würde so etwas nicht passieren. Aber Europa ist auch
nicht über jeden Zweifel erhaben.
Kurz nach den Wahlen war ich in San Francisco. Ein Mann hat mir einen Parkplatz weggeschnappt, ich habe ihn nur böse angeschaut. Dann ist er ausgestiegen, hat gesagt, «You cunt» – also Fotze – «Ich muss jetzt nicht mehr politisch korrekt sein, Donald Trump ist mein Präsident.» Das ist beängstigend. Aber diese Ressentiments waren ja vorher auch da. Es ist sicher besser, wenn eine solche Eiterbeule aufbricht und man sieht, mit was man es zu tun hat.
Ich glaube, es ist ähnlich wie in der Schweiz. Als ich im Kanton Aargau lebte, hingen diese Plakate: Ali G., Vergewaltiger – und bald Schweizer? Aber es gab auch Gegenstimmen. Ich glaube, Rassismus gibt es überall und Menschen, die ihn bekämpfen, auch – die Frage war nicht ernst gemeint, oder?
Den Leuten ist das sehr bewusst: Sie sehen einen mexikanischen Indianer und denken: Arbeiter, obdachlos. Mir ist das nie so entgegengeschlagen, aber ich bin einfach weiss. Ich habe selbst Vorurteile. Die Frage ist bloss, ob man versucht, sie abzulegen. Oder ob man sie für wahr hält.
Ich schreibe sowieso auf, was ich Tag für Tag erlebe, um zu verstehen, was passiert. Das ist für mich wie Zähneputzen. Es zu veröffentlichen, war für mich beim letzten Buch ein Ringen: Wen interessiert das? Nach dem Erscheinen war ich von den Reaktionen überwältigt. Die Fragen: Ist das jetzt mein Leben? Wem gehört mein Leben? Habe ich ein Recht auf ein Eigenleben? gehören nicht nur mir. Ausserdem hat der Verlag gesagt: So wie das Buch aufhört, gibt das eine Fortsetzung. Es ging diesmal eher um die Frage, was dazugehört und was
der Bogen der Geschichte ist.
Ich habe nicht gemeint, ich wollte nicht berühmt sein. Dann müsste ich jetzt nicht ein Interview geben. No offense – aber für mich ist das arbeiten. Schreiben ist einfach das, was ich mache. Damit bin ich nicht alleine. John Irving hat über Lese- und Pressereisen gesagt: Das ist der Preis, den ich zahle, damit ich nachher wieder ein paar Jahre in Ruhe an meinem Schreibtisch sitzen kann. Ich will mich keinesfalls da-
rüber beklagen, aber berühmt sein kam einfach in meinen Kinderträumen
nicht vor! (lacht)
Einmal ist jemand einfach in meinen Garten gegangen, und das ist wirklich eine Ausnahme. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich da eine Grenze gesetzt und gesagt: Da ist meine Haustüre und da ist mein Sofa und da sitze ich in den Unterhosen und nein, so
nah dürfen Sie jetzt doch nicht kommen. Viele Schweizer, die nach Santa Fe kommen, legen mir einen Zettel in den Briefkasten – eine hat mir einmal Schokolade aus Aarau mitgebracht, Brändli-Bomben. Da freue ich mich sehr und gehe auch drauf ein.
Victor hat gesagt hat: Schreib, was du willst, ich vertraue dir. Aber für mich war es eine grosse Herausforderung. Ich wollte kein «Ätsch-bätsch-Buch» machen – kein Buch, das sich so liest: Weisst Du, das ist jetzt das perfekte Leben. Ich wollte, dass man spürt, dass es eine ganz grosse Liebe ist, aber
nicht weil alles perfekt wäre, sondern weil diese Liebe viel aushält und viele Fenster aufmacht, weil neue Einsichten und Herausforderungen da sind. Es
ist etwas Neues für mich, über das Glück zu schreiben.
(lacht) Nein. Gefühl ist ... ich bin wie eine junge Dampfwalze. Ich bin einfach... wusch. Das war ich immer. Das Herz ist, glaube ich, alterslos.