Oper Schenkenberg
Kein Klischee, kein Idylle: Die Oper Schenkenber feiert gelungene Premiere

In Schinznach triumphiert die «Oper Schenkenberg» mit Giuseppe Verdis «Il Trovatore». Es wird nicht nur leidenschaftlich gespielt, es wird auch sehr gut gesungen. Sicherer Hintergrund bildet die Camerata Schweiz unter der Leitung von Marc Tardue.

Christian Berzins
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Die Szenerie ist bedrohlich, die Waffe ist schnell gezückt: Manrico (in der Mitte Peter Bernhard) umringt von Freund und Feind. Ingo Höhn/ho

Die Szenerie ist bedrohlich, die Waffe ist schnell gezückt: Manrico (in der Mitte Peter Bernhard) umringt von Freund und Feind. Ingo Höhn/ho

Ingo Höhm

Eine Hinrichtung schockt noch vor dem ersten Ton, es folgt eine Folterszene à la Guantánamo und kurz darauf liegt der Titelheld auch schon angeschossen am Boden. Der Schinznacher «Trovatore» eine Feier der Gewalt? Latent durchaus – aber alsbald wird auch in zartesten Tönen geliebt und durch dunkelste Verdi-Finsternis hindurch gelacht.

Regisseur Andreas Baesler schafft das Kunststück, in dieser nachtschwarzen Dreiecksgeschichte mit einer die Fäden ziehenden Zigeunerin für einen Moment das herzpochende Liebesglück des Troubadours Manrico und seiner adligen Freundin Leonora aufleben zu lassen. Detail? Gewiss, aber erstens ein so noch nie Gesehenes und zweitens eines, das zeigt, wie genau hier eine Geschichte gelesen wurde, wie genau sie auch in einer Freiluftoper erzählt werden kann. Oder viel eher: Wie genau gerade open air erzählt werden muss, damit ein bunt gemischtes Laien-Publikum drei Stunden lang gebannt an den Lippen der Darsteller hängt.

All das geschieht in Schinznach mit grosser Selbstverständlichkeit, dabei führt der Verein «Oper Schenkenberg» erst zum zweiten Mal eine Oper auf. Wie auch immer: Es gelingt erneut spielend. Vom Bustransfer um exakt 19.05 Uhr ab Bahnhof Brugg, über die WCs, die Pausenbewirtung bis zum Shuttlebus um 23.15 Uhr funktioniert alles wie am Schnürchen. Und das notabene in einem Gartencenter...

Prunkstück der Anlage ist die «Giuseppe-Verdi-Arena», die wie vor drei Jahren bei «Carmen» das Regiekonzept nachhaltig prägt. 2010 sass man im Rund einer prächtigen Stierkampfarena, augenfälliges Spektakel wurde geboten. Nun nimmt man in einer v-förmigen Tribüne Platz, die die nackte Spielebene umrahmt. Begrenzt wird sie durch ein trotzig-kaltes 15 Meter hohes Brücken- und Treppengebilde (Bühne Karel Spanhak). Die Zeichen sind klar: Opernidylle ist etwas für Verona-Fahrer.

Auf der Spielfläche steht mal ein Stuhl, dann ein Tisch, liegt mal eine Matratze: Alles kaum der Rede wert, hier herrscht die Emotion. Bis in die Nebenrollen sind die Protagonisten gefordert – jeder dieser stilisierten Idealfiguren schafft es aber, ein Mensch aus Fleisch und Blut zu werden. Aber fast noch erstaunlicher: Die vermeintlich verworrene Geschichte, die selbst drei alte Opernkenner zusammen kaum auf die Reihe kriegen, wird von Baesler ins amerikanische Mafiamilieu der 1920er-Jahre verlegt und schlüssig erzählt, als seis ein Kinderspiel. Die Übergänge von Szene zu Szene sind erstaunlich fliessend, langwierige Umbauten scheinen mit einer Ausnahme ein Unding der guten alten Oper gewesen zu sein.

Es wird nicht nur leidenschaftlich gespielt, es wird auch sehr gut gesungen. Tito You (Luna) ist zwar der Böse vom Dienst, schafft es aber, mit seinem virilen, dunkelwarmen Bariton allseits die Sympathien zu wecken. Mary Elizabeth Williams hat die Reize ihrer grossartigen Verdi-Stimme schon im St. Galler Freiluft-«Attila» gezeigt. Sie ist selbst in der kleinsten Szene präsent, spannt unheimlich Bögen und schenkt der anderswo meist blassen Leonora Schatten und Tiefe. Fast noch eindrücklicher ist Larissa Schmidt als Azucena: Sie schafft das Kunststück, diese fauchende Rolle wahrlich zu singen – selbst im feurigen Fortissimo-Ausbruch klingt ihr Mezzo noch schön.

Peter Bernhard, der Initiant und Intendant der Oper Schenkenberg, bewältigt die Titelrolle achtbar, wenn auch mit zwei Stimmen . . . Erst will man gar nicht glauben, dass es Bernhard ist, der da in zuckersüssen Phrasen vom Troubadour-Glück schwärmt. Aber eben: Der Opernsänger Bernhard mimt den Sänger Manrico! Für ein Dutzend Verse hält Bernhard das tenorale Zuckerwasserbad durch, dann ist sein baritonal gefärbter Tenor vorherrschend, der in Richtung Finale hart und schneidig wird, aber trotz kleiner Schwächen selten die Linie verliert.

In der berüchtigten Stretta «Di quella pira» nimmt er den kürzesten Weg. Das hat auch Jahrhunderttenor Franco Corelli (1921–2003) live nicht anders gemacht. Bernhard folgt interessanterweise dem Denken und Atem des Italieners bisweilen bis in die Phrasenspitzen, was nicht unproblematisch ist, hat doch Corelli seinen Gesang seinen beschränkten (aber kolossalen!) Mitteln angepasst. Bernhard übersteht die Grenzpartie auch dank der erstaunlich gut funktionierenden elektronischen Klang-Anlage: Er muss nie forcieren, kann die Arie «Ah si, ben mio» im sprechenden Piano singen.

Sicherer Hintergrund bildet die Camerata Schweiz unter der Leitung von Marc Tardue. Der dramatische Furor, die strukturgebende klischeelose Klarheit dieses Dirigats sind hörenswert: Erstaunlich, welche Selbstverständlichkeit in Tonfall und Phrasierung das Orchester hier findet. Selbst der Chor ist akzeptabel. Prächtiges Detail: Noch nie hatte ein Dirigent, bevor er ans Pult trat, einen so coolen Auftritt – allerdings einen, der zum ersten Toten führt . . .

Il Trovatore: 10-mal bis 31. August. Karten 844 13 13 13 (55 bis 140 Franken). Es gibt zwei Besetzungen.