An trüben Nachmittagen gibt es kaum Schöneres, als Märchen zu erzählen oder gemeinsam schmökernd auf Weltentdeckung zu gehen: Acht Tipps von der sprechenden Zahnspange bis zum Harry Potter für Anfänger
In der Kindheit Selma Lagerlöfs verging kein Tag, an dem die Grossmutter nicht auf dem Ecksofa in ihrer Stube gesessen und Märchen erzählt hätte: «Vom Morgen bis zum Abend, und wir Kinder sassen still neben ihr und hörten zu», so schreibt die Literaturnobelpreisträgerin in den einleitenden Sätzen zu ihrer Legende «Die heilige Nacht». «Das war ein herrliches Leben.» Umso heftiger der Schmerz über den Tod der geliebten, unablässig strickenden Erzählerin, umso prägender die Erinnerung daran, wie eines Tages «Märchen und Lieder von zu Hause wegfuhren, in einen langen schwarzen Sarg gepackt, und niemals wiederkamen». Allein die Weihnachtslegende blieb im Gedächtnis – später als Schriftstellerin rettete Selma Lagerlöf den Kindheitsschatz vor dem Vergessen.
Bis heute zählt «Die heilige Nacht» zu den Geschichten, die in einem Vorlesebuch für lange Winterabende nicht fehlen dürfen. So auch nicht in dem von Lisa Manneh reich illustrierten Band «Winter» (Hg. Ulrike Schrimpf, Herder, 240 S., Fr. 46.–). Mag auch die Toniebox unterdessen die lismende Grossmutter abgelöst haben: Schöner als Audiofiles aus dem digitalen Zauberwürfel ist die gemütliche Erzähl- und Leserunde auf dem Sofa oder am Cheminée. Dafür eignet sich dieses Hausbuch bestens.
Buchtipps für junge Leser:
Es überrascht mit einer klugen Mischung, in der für jedes Alter und jeden Geschmack etwas dabei ist – und der Rest darauf wartet, entdeckt zu werden. Neben Vorleseklassikern wie «Frau Holle» oder Andersens «Schneekönigin» auch Gedichte von Prévert und Else Lasker-Schüler, Literarisches von Goethe, Büchner (den Beginn der Erzählung «Lenz») und La Fontaine, Ausschnitte aus «Heidi» oder aus Geschichten aktueller Kinderbuchautoren. Darüber hinaus gibt es Lieder, Einblicke ins Brauchtum früher und in anderen Weltgegenden, Anregungen, den warmen Platz am Ofen auch wieder zu verlassen – um beispielsweise Tierspuren im Schnee zu suchen oder in der Küche einen Punsch zu kredenzen. So ist dieses Buch auch geschenkte gemeinsame Zeit, für diesen Winter und die kommenden. Märchen im Märchen, Geschichten aus der Welt der Zauberer und Hexen: Das sind «Die Märchen von Beedle dem Barden». J. K. Rowling brachte sie vor zehn Jahren heraus, erfunden hatte sie sie aber schon vorher – als Teil der Fiktion rund um den Zauberschüler Harry Potter, als Schullektüre und magischen Schlüssel.
Im Jubiläumsjahr des wohl grössten Bucherfolgs aller Zeiten hat der deutsche Potter-Verlag Carlsen die Märchen in einer opulenten Ausgabe neu aufgelegt, «aus den ursprünglichen Runen übertragen von Hermine Granger», «mit einem Kommentar von Albus Dumbledore», vor allem aber mit zauberhaft geheimnisvollen Illustrationen der Wiener Buchkünstlerin Lisbeth Zwerger. Ein Muss für magieaffine «Muggel», auch wenn sie (noch) nicht alle Harry-Potter-Bände gelesen haben.
Neunmalkluge freuen sich über Sachbücher wie Mathilda Masters kuriosen Katalog «321 superschlaue Dinge, die du unbedingt wissen musst» (ab 11, Hanser, 288 S., Fr. 32.–). Man kann lange lustvoll darin blättern und erfährt, warum Pinguine in die Knie gehen können oder warum man bei hellem Licht niesen muss. In gemütlicher Runde kann man gemeinsam spekulieren und sich von den Antworten überraschen lassen.
Der in Oxford lehrende Historiker Peter Frankopan erregte 2016 Aufsehen mit seiner Weltgeschichte «Licht aus dem Osten» – einem Buch, das daran erinnert, dass die Wiege der Zivilisation nicht im antiken Europa stand, sondern zwischen Mittelmeer und Pazifik. Schon für Zehnjährige verständlich und für alle Mitleser ein Gewinn ist seine von Neil Packer farbig illustrierte Adaption «Die Seidenstrassen» (Rowohlt, 128 S., Fr. 30.–). Geschichtliche Zusammenhänge werden hier anschaulich erzählt: Da lauscht man so gebannt wie einst Selma Lagerlöf der Grossmutter.