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Kultur
Ulrich Blumenbach ist der Mann, der David Foster Wallace bei uns bekannt machte: Er hat den «Unendlichen Spass» ins Deutsche übersetzt. Sieben Jahre hat ihn gekostet, was viele für unmöglich hielten.
Amerika, du hast es besser! Bewunderungswürdig, beneidenswert ist deine Hoch-Publizistik. Da gibt’s nicht bloss Platz in extenso für Reportagen, nein, diese Reportagen werden umso mehr geschätzt und prominent platziert, je höher ihre sprachliche, ihre literarische Qualität ist.
Brillanz der Darstellung – das ist das Kriterium, weit vor allem. Während im deutschsprachigen Raum, fast schon mechanisch und allzu häufig, die Textguillotine runtersaust: «Mehr als 150 Zeilen liest doch keine Sau.» Mit dem Resultat, dass sich Leserinnen und Leser ebenfalls um den Kopf gebracht fühlen und sich anderweitig umsehen, wo man ihnen einen solchen noch zubilligt.
Fraglos noch lange in Büchern. Reportagen, die in Magazinen und Zeitungen jeden Umfang sprengen, erhalten Freilauf in Büchern. Im Deutschen etwa – dank Hans Magnus Enzensbergers «Anderer Bibliothek» – die phänomenale Marie-Luise Scherer. Auch da aber hat in den letzten Jahren eine gewisse Seuche um sich gegriffen, die im folgenden Dogma der Branche ihr lähmendes Gift verbreitet: «Reportagen lassen sich nicht verkaufen.» Es sei denn, Reportagen von Namen. Namen – ja genau: wie im Fernsehen. Nun schert sich die Jugend aber kaum mehr um beides, Buch oder Glotze, sie schwört auf «Influencer».
David Foster Wallace, dieser Märtyrer-Genius der Postmoderne, ist zweifellos ein Name mit Aura – auch als «Influencer» notabene. Sein Buchziegelstein «Unendlicher Spass» sei einer «der wichtigsten englischsprachigen Romane zwischen 1923 und 2005» («Time»); «intellektuell und künstlerisch das Verwegenste, was die amerikanische Literatur in den vergangenen Jahren hervorgebracht» hat («Spiegel»). Foster Wallaces Verlag in Deutschland stellt diesem Roman jetzt noch ein über tausendseitiges Brikett zur Seite: «Der Spass an der Sache», alle Reportagen und Essays des manischen Magiers.
Beide Bücher gehören zusammen – es war klug, alle Essays in einem Band zu versammeln (im Amerikanischen verteilt auf drei Bände). Und nicht minder klug war es, die Verwandtschaft von Roman und Essays auch grafisch zu kennzeichnen. Was im deutschsprachigen Raum kopflos getrennt wird (Journalismus und Literatur / Spreu und Weizen) wird hier als unteilbare Begabung eines herausragenden Kopfes gekennzeichnet. Ein Geist, der sowohl die Literatur als auch die Reportage «ver-wallacierte». Zum Unglück von ihm selbst, dem Trostlosen, dem nicht zu helfen war. Als Trost für uns, denen er die Postmoderne virtuos beschreibt als Depro-Halloween und dadurch erträglich, phasenweise gar beglückend macht.
«Ver-wallacieren» – natürlich ist das eine Wortschöpfung. Die trauen wir uns zu, weil wir lange mit einem erstaunlichen Mann geredet und dabei das Staunen um kein Jota verloren haben: mit Ulrich Blumenbach, dem 54-jährigen deutschen Übersetzer von David Foster Wallace. Der Mann, der den Amerikaner bei uns bekannt machte. Blumenbach musste Wörter schaffen, um auf der Spur des Meisters zu bleiben, der selber Verzeichnisse angelegt hatte mit äusserst seltenen Wörtern, natürlich, um bei Bedarf und bei strenger stilistischer Kontrolle Gebrauch davon zu machen.
Blumenbach hat mit Bravour gemeistert, was man lange für unmöglich gehalten hatte: den «Unendlichen Spass» zu übersetzen. Sieben Jahre hat ihn das gekostet. Sein Vater musste ihn mäzenatisch über Wasser halten. Die ganze Verwandtschaft war gewissermassen ein Berater-Trabantensystem für alle Bereiche des Sprachkosmos von Foster Wallace. Blumenbachs Kinder spickten ihn mit zeitgenössischem Dada fürs Übersetzen entsprechender Passagen. Heute gehört der Deutsche zu den Star-Übersetzern, ausgezeichnet mit bedeutenden Preisen. Er ist der erste Übersetzer, der in Basel, wo er wohnt, den Kulturpreis erhalten hat.
Auch die Pro Helvetia unterstützte seine Arbeit. Auf unsere Anfrage, inwiefern Nicht-Schweizer Geld erhalten können der Pro Helvetia, antwortet Lisa Stadler, Kommunikationsfrau der Stiftung: «Ulrich Blumenbach lebt seit Jahren in der Schweiz. Er hat hier seinen Lebens- und Wirkungsmittelpunkt und ist ein tragender Pfeiler der Schweizer Übersetzungsszene. Aus diesem Grund entsprechen seine Arbeiten den Unterstützungskriterien von Pro Helvetia.»
Blumenbach war wiederholt irgendwie fertig, ehe er wirklich fertig war mit dem «Unendlichen Spass». Aber das gehört zum «Flow» von Foster Wallace, dieser Wechsel zwischen Rausch und Cold Turkey. Selbst namhafte Literatur-Junkies bekennen öffentlich, nicht fertig geworden zu sein mit dem «Unendlichen Spass». Blumenbach lächelt, mit Echo ins Ungesagte: «Ich schon ...» Richtig, könnte ja durchaus sein, dass Blumenbach einer der wenigen ist, die bis zum Schluss mitzogen, mitgerissen wurden... wenn nicht der Einzige.
Man möchte einem derart detailbewussten Mann wie Blumenbach stundenlang zuhören, weil nur das Detaillierte in die vielfältigen Facetten hoher Kunst führt – und letztlich den Genuss an ihr steigert. «Leser dürfen sich im Dickicht verirren», sagt Blumenbach, «nur der Übersetzer darf sich saloppe Fahrlässigkeit nicht erlauben, muss jeder Verästelung nachgehen, sie zunächst verstehen und jedes einzelne Glied umsetzen, selbst wenn kein Leser, keine Leserin die Feinstruktur eines ausfächernden Gebildes je bewusst aufnehmen sollten.»
Über den sprachlichen Rang von Foster Wallace hat Blumenbach nicht den geringsten Zweifel: «Wallace war eine Kompetenzgranate mit Dauerzündung», schreibt er in seinem oft und dankbar paraphrasierten Vorwort zum «Spass an der Sache»: ein «Hirnschrittmacher, der unterhalten, aber nie unterfordern wollte.»
Blumenbach feiert enthusiastisch selbst jene Passagen im Roman, für die ein Attribut wie «uferlos» noch viel zu niedlich erscheint. Da, wo der Leser an Zähigkeit nun wirklich eine Mischung entwickeln muss zwischen Robert Falcon Scott am Südpol und Lawrence of Arabia.
Oder dann wie der Teenager David Foster selbst, der TV-Serien-Marathons bewältigte im grabkammergleichen Zimmer, zur höchsten Besorgnis seiner Eltern. Solche TV-Wüstenexpeditionen verwandelte er ins Literarische, so, dass aller faule Zauber dran wegfällt, aber die Zersetzung funkelt, leuchtet, flirrt durch sprachliche Form. Es handelt sich um nichts weniger als die Darstellung des Lebendtods der Moderne, die es mit Ach und Krach gerade noch schafft, wie Heath Ledger als «Joker» in Batman, alles mit verschmierter Maske als Scheintod von sich zu grinsen.
Trotzdem habe Foster Wallace keinen «Depressionsroman» geschrieben, sagt Blumenbach, «zu schnell wurde ihm im deutschen Sprachraum dieses Etikett aufgeklebt.» Richtig sei indes, dass der Roman «seine Schönheit und aberwitzige Komik dem stets mitschwingenden Trost verdankt», dem Ganzen entronnen zu sein. Foster Wallace litt seit früher Jugend an Depressionen; seiner Literatur glückt eher das Umgekehrte: Sie löst uns davon. «Auf eine paradoxe Formel gebracht», sagt Blumenbach, «versuchte Foster Wallace, das Leben in der Spassgesellschaft durch Unterhaltung aushaltbar zu machen.»
Das gelingt ihm deutlicher noch jetzt, in den Essays. Glänzend geschrieben, wird man glänzend unterhalten, heilfroh, mit dem literarischen Reporter durch ein Purgatorium zu gehen wie die Preisverleihung in 105 Kategorien bei einem Porno-Festival oder eine Kreuzfahrt, aber nicht wirklich mit aufs Schiff gezwungen zu werden.
Auszug aus einer Rede für frisch diplomierte College-Studenten:
Adressiert an die hoffnungsvolle Jugend, hat der hoffnungslose David Foster Wallace eine einzige Rede gehalten: 2005, vor dem Abschluss-Jahrgang des Kenyon College in Ohio. Damals sagte er, das Leben «dreht sich um die Frage, wie man dreissig oder sogar fünfzig Jahre alt wird, ohne sich die Kugel zu geben». (Foster Wallace hat sich mit 46 erhängt.) Es gehe darum, wie man die alltägliche Ödnis erwachsener Banalität durchquere. Was Foster Wallace damit meint, zeigt u. a. dieser Textauszug: «Sie stehen morgens auf …, schuften neun oder zehn Stunden lang, und bei Feierabend sind Sie müde und gestresst und wollen nur noch nach Hause …, wollen dann früh in die Falle, weil das Ganze am Tag darauf ja von vorn losgeht. Aber dann fällt Ihnen ein, dass Sie nichts im Haus zu essen haben …, also müssen Sie nach Dienstschluss erst mal zum Supermarkt fahren. … Wenn Sie den Supermarkt endlich erreichen, ist er brechend voll …, und im Laden herrscht dieses scheussliche Neonlicht, überall dudelt diese leidige Kaufhausmusik oder Kommerzpop, und Sie wünschen sich ans andere Ende der Welt.
Aber Sie müssen Ihren schrottigen Einkaufswagen an all den anderen erschöpften, hektischen Leuten vorbeimanövrieren, und die Tapergreise bewegen sich im Tempo der Kontinentaldrift, und verpeilte Leute und ADHS-Teenager blockieren die Gänge. … Und wenn Sie zu guter Letzt alle Zutaten fürs Essen beisammenhaben, stellt sich heraus, dass nicht genug Kassen offen sind.
Schlussendlich müssen Sie … mit dem Einkaufswagen und dem eiernden Rad, das immer so nervtötend nach links zieht, draussen über den ganzen überfüllten, holprigen, zugemüllten Parkplatz und die Tüten möglichst so im Wagen verstauen, dass nicht alles rausfällt und auf der Heimfahrt im Kofferraum herumkullert.
Wer zum Teufel sind diese ganzen Leute, die mir im Weg stehen? Und wie abstossend die meisten von denen aussehen, und wie dämlich, strohdoof, bräsig und nicht menschlich sie in der Kassenschlange wirken, oder wie grob und unhöflich es ist, dass sie mitten in der Schlange lauthals in ihre Handys sprechen …
Ich kann mich aber auch mit der Wahrscheinlichkeit befassen, dass alle anderen in der Kassenschlange genauso genervt und frustriert sind wie ich …, dass ich faktisch ihnen im Weg stehe.»