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Die Mail spricht Bände. «Ich bin jeden Freitag der glücklichste Mensch in der ganzen Nordwestschweiz, sogar bis Kanton Wallis und Bern», hat Davide Maniscalco an die Theatergruppe geschrieben. Eigentlich will der freundliche Italiener mit den grauen Haaren und hellen Augen nur noch rasch ein paar organisatorische Einzelheiten besprechen. Doch beim Austausch mit seiner «fast ein bisschen anarchischen Bande», wie er sie liebevoll nennt, geht es ihm immer auch darum, das Gemeinschaftsgefühl zu stärken.
Wer «Niemandsland» beschreiben will, kommt um dieses Wort nicht herum: Gemeinschaft. Community. Seit 20 Jahren leitet Maniscalco die Theatergruppe, die jeden Freitagabend im Union an der Klybeckstrasse probt. Seit 20 Jahren im selben hellen Raum mit den grossen Fenstern im ersten Stock. Mit Menschen, die seit 10, 15, 20 Jahren dabei sind. Und immer noch kommen.
«Ah genau, hallo!» Maniscalco steht barfuss vor einem Tischchen in der Mitte des leeren Proberaums und schaut mit einem anderen Mann Fotos durch. Es ist Freitagabend, kurz vor der Probe. Herzliche Umarmung, Geste zum roten Sofa in der Ecke. «Ich komme gleich. Willst du was trinken? Das ist Mahmoud.» Der Mann schüttelt die Hand, er wird sich gleich mit dazu setzen.
1999 fragte der Verein für Jugendarbeit Kleinbasel Davide Maniscalco für ein interkulturelles Projekt an. «Da war Kleinbasel noch ganz anders als heute.» Schon damals hatte das Quartier eine hohe Dichte an Migranten, aber nur die wenigsten Organisationen arbeiteten integrativ. Der Verein wollte das ändern und ein Projekt auf die Beine stellen, das Begegnungen von Menschen verschiedener Kulturen ermöglichte. Wer passte da besser als Davide Maniscalco, ein enthusiastischer Theaterpädagoge und Lehrer, der sich seit Jahren im Kleinbasel engagierte? Er sagte zu, unter einer Bedingung: Er wollte Theater machen. Gut, sagte der Verein. Eine Laientheatergruppe mit Menschen aus verschiedensten Kulturen. Jeder, der sich interessierte, durfte mitmachen. Gut, sagte Maniscalco. Und «Niemandsland» war geboren.
Die erste Produktion fand 2002 im Restaurant Don Camillo im Warteck statt. Gespielt wurde eine freie Interpretation von Arthur Millers «A View from the Bridge», ein Stück, in dem es um zwei Sans-Papiers in New York geht. «Niemandsland» verpflanzte die Geschichte nach Kleinbasel: Der Besitzer einer Pizzeria stellt einen illegalen Kosovaren ein, was nicht ohne Konsequenzen bleibt. Das Stück ging tief und thematisierte politische Aktualität: Wie sieht das Leben eines Sans-Papiers aus? Gespeist wurde die Geschichte aus den Biografien der Menschen, die sie aufführten – viele von ihnen selbst Geflüchtete.
So wie Mahmoud. Der Syrer kam vor sechs Jahren in die Schweiz und wurde von einem Freund an eine Probe von «Niemandsland» mitgenommen. «Ich kam als Sprachloser», sagt er und meint damit nicht nur seine Deutschkenntnisse. Ihm gefiel die Gruppe sofort: Auf der Bühne gäbe es keine Sprachen, nur das Spiel. Heute, nach mehr als fünf Jahren, ist er im Vorstand. Er sagt: «Davide erzählt nicht nur unsere Geschichten. Er bringt das Gefühl rüber, das sie in sich tragen.»
Langsam trudeln andere Schauspieler ein, weitere Syrer, ein Italiener, zwei Schweizerinnen, ein Südsudanese. Jeder umarmt jeden. Sandra, die seit 2003 («oder war es 2004? Auf jeden Fall schon sehr lange») dabei ist, setzt sich zwischen Mahmoud und Mohamed, einem Syrer, der mit einer Kamera rumhantiert. «Ich mag die Leute hier», sagt sie, «es ist wie eine kleine Familie.» Im Niemandsland ist niemand allein.
Auch wenn viele Schauspieler Migrationshintergrund haben – ein «Flüchtlingstheater» ist «Niemandsland» nicht. Das ist Maniscalco wichtig zu betonen. Er macht kein Theater, in dem Geflüchtete die für sie vorbereiteten Rollen ausfüllen sollen. «Niemandsland ist ein Trainingsraum, für alle, die interessiert an Begegnung und Theater sind», sagt er. «Nicht mehr, nicht weniger.» Dann steht er auf. Gleich fängt die Probe an. Er weiss nie im Voraus, wie viele kommen werden. Manchmal sind es acht, manchmal achtzehn. Heute sind zwölf gekommen. Der Leiter zieht sich eine Wickelhose an und stellt sich in den Raum. «Leute, fangen wir an!» Er schaut mit gespielt strengem Blick zu zwei feixenden jungen Männern. «Ihr auch!» Davide Maniscalco lacht. Der glücklichste Mensch in der ganzen Nordwestschweiz.
Drama Loco – ein Stück von «Niemandsland» am Wildwuchs Festival. Donnerstag, 30. Mai, 20 Uhr, Rossstall, Kaserne.