Der Basler Autor, Dramatiker und Redaktor Lukas Holliger hat seinen ersten Roman geschrieben. Am 28. März findet die Vernissage im Literaturaus Basel statt.
Der Basler Dramatiker Lukas Holliger ist ein Autor, der überrascht. Mit grossen Themen wie dem SchweizerhalleBrand ebenso wie mit scharfen Wendungen und kleinen Details.
In seinem neuen Roman «Das kürzere Leben des Klaus Halm» überrascht als erstes der grenzenlose Zynismus des Ich-Erzählers. Der arbeitslose Filmvorführer erinnert an Markus Werners bekannte Figur «Zündel», er ist aber, obwohl fast halb so alt wie dieser, doppelt so zynisch. Die Menschen, denen er im Tram begegnet, mag er nicht, vor allem dann, wenn sie ein Leben führen, das ihm selber entgeht. So faszinierend die Präzision ist, mit denen er sie erfasst, mit Filmschauspielern vergleicht und entlarvt, so schmerzhaft sein Zynismus, der zwar witzig ist, aber eben, scharf, und im Grundton traurig.
Ein Buch, so sagt man sich, ist nun mal kein Wellnessbesuch, und nimmt in Kauf, die Welt über hunderte von Seiten aus der Perspektive eines Menschen zu betrachten, der mindestens so scharfsinnig ist wie schlecht gelaunt.
Kaum hat man sich an den Pessimismus des Erzählers gewöhnt, kommt die zweite Überraschung. Der Ich-Erzähler verlässt uns nämlich, indem er beginnt, die Geschichte eines Mannes zu erzählen, den er im Tram entdeckt hat, und der alles hat, was er selbst nicht hat: Frau, Kind, Job. Er folgt dem Mann bis vor die Haustür und erfährt seinen Namen: Klaus Halm.
Plötzlich befinden wir uns in einer personalen Erzählung, der Ton ist sanfter, die Geschichte eine andere. Einzig die Frau mit den roten Haaren und den hervorstehenden Zähnen kennen wir bereits von einer Fahrt im gelben 11-er-Tram. Mit dieser Frau, Yvonne aus dem Elsass – sie gefällt Klaus Halm zuerst nicht und dann doch – wird sich eine Geschichte anbahnen. Zuvor aber nehmen wir noch teil an den Szenen seiner Ehe.
Die Stimmung zwischen Klaus Halm und seiner Frau ist beklemmend, aber nicht hoffnungslos. Die Frau scheint dominant, was mit dem Wort «pragmatisch» ausgedrückt wird. Halm dagegen ist eher ein Loser, der die Papeterie seines verstorbenen Vaters aufpeppen möchte – ein nostalgischer Akt, in einer Zeit, in der die meisten Papeterieartikel auf der Post gekauft werden können.
Der Zynismus hat sich in dieser Figur in Ironie gewandelt, beispielsweise, wenn es Halm gelingt, den Spülkasten des Klos zu flicken und er sinniert: «Er musste zugeben, er fühlte sich dem Sinn des Lebens näher, als nach dreissig Arbeitstagen in der Papeterie.»
Auch die Ironie ist kaum eine zärtliche Ironie, sie ist vielmehr bissig, schmerzhaft, melancholisch. Natürlich ist ein Buch nicht dazu verpflichtet, den Leser zu streicheln – und doch bieten die Passagen, die frei sind von dieser scharfen, witzigen Ironie fast eine Art Erholung. So beispielsweise eine sehr poetische, still berührende Szene, in der Vater und Sohn über den König in einem Bilderbuch rätseln. Halm schweift beim Erzählen weit ab, um möglichst lange in der «Zweisamkeit der Erzählsituation» zu bleiben.
Von Zeit zu Zeit wechselt Holliger die Perspektive, erzählt aus der Sicht der Überwachungskamera im Tram, baut Rückblenden ein, aus der Kindheit von Halms Frau, Viola. Auch die Form der Neuen Medien setzt Holliger ein, schreibt Passagen in SMS-Form und E-Mails. Nie wirkt diese Form aber so sauglattistisch wie etwa bei Daniel Glattauers seltsam beliebten E-Mailroman «Gut gegen Nordwind». Augenfällig ist die Versiertheit des Dramatikers Holliger im Dialog, beispielsweise, wenn Halm und Viola darüber streiten, warum er plötzlich so lange weggeblieben war.
Was dazwischen passiert, ist das, was im Leben passiert. Die komplizierte Liebe, die schwere Geburt, der plötzliche Tod.
«Ich lese keine Bücher, die man zusammenfassen kann» sagt Viola. Das gilt auch für Lukas Holligers Roman – er lebt unter anderem von einer Sprache, die überzeugt in der Präzision der Beschreibung und der Pointiertheit im Vergleich (etwa: «Die selbergemachte Visitenkarte steckte sie ihm zu wie ein Tombolalos.»)
Das Einzige, was man als Lesende kaum erträgt, ist der süssholzraspelnde Ton zwischen zwei Verliebten in SMS und E-Mailform, es ist, vom literarischen Standpunkt her, Kitsch. Die Liebe aber, so sagt Peter Bichsel, macht asozial. Sie kümmert sich somit auch nicht um das Urteil fremder Leser. Der Kitsch ist von Holliger geschickt eingefügte Rollenprosa, die Yvonne hier mit einem Mann pflegt. Allerdings nicht mit Halm! Es ist raffinierter. Wem sie simst, sei hier nicht verraten.
Selbst dem, der es müde ist, sich mit Dreiecksgeschichten zu beschäftigen, sei dieses Buch empfohlen. Es ist virtuos komponiert, immer wieder witzig, und spielt, zu guter Letzt, in Basel. Auch wer nicht auf der Suche nach dem «Stadtroman» ist, wird sich darüber freuen, wie genau es Lukas Holliger gelingt, die Stimmung an einer Premierenfeier im Theater Basel einzufangen. Und wer nicht so auf Dante Alighieri steht, der findet etwas im Bereich von Dante Schuggi. Den Trämmli fällt auch eine gewisse Ehre zu. «Das kürzere Leben des Klaus Halm»: Einsteigen bitte!
Die Vernissage von «Das kürzere Leben des Klaus Halm» findet am 28. März im 19 Uhr im Literaturhaus Basel statt.