Bayreuther Festspiele
Bayreuths Festpielhaus bebt, Angela Merkels Stuhl kracht

«Tristan und Isolde» zur Eröffnung der 104. Bayreuther Festspiele inszeniert von Festspielchefin Katharina Wanger war zukunftsweisend.

Christian Berzins
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Katharina Wagners Regie verbindet klare Ideen und fantastische Bilder (Ausschnitt aus dem 3. Aufzug). Bayreuther Festspiele

Katharina Wagners Regie verbindet klare Ideen und fantastische Bilder (Ausschnitt aus dem 3. Aufzug). Bayreuther Festspiele

Die Erwartungen waren grösser als bei den zehn Festspieleröffnungen die Jahre zuvor zusammen. Da konnte Katharina Wagner, Urenkelin Richard Wagners, noch so tief stapeln, dem «Münchner Merkur» gar verkünden: «Wenn ich höre, dieser ‹Tristan› sei entscheidend für die Zukunft der Festspiele, dann denke ich mir: Was soll das? Wenn es jemandem nicht gefällt, bricht dann etwa das Haus am Abend des 25. Juli automatisch zusammen?»

Unterschätzt Katharina Wagner vielleicht ihre Gemeinde? Wäre dieser «Tristan» erneut eine Enttäuschung geworden, wie der «Ring des Nibelungen» 2013 und mit ihm so vieles bei den Bayreuther Festspielen in den letzten Jahren, wäre für viele Bayreuth-Pilger nicht das Festspielhaus, sondern erneut eine Welt zusammengebrochen. So tönte es denn bei der Ansprache anlässlich des Grabsingens am Premierenmorgen am Grab Richard Wagners vor der Villa Wahnfried flehend-warnend, es gelte nicht, die Opern Wagners immer gleich traditionell herunterzuspielen, stetig müssten sie erneuert werden. Sind Worte, die am Grab gesprochen, nicht bedeutungsschwerer wie jene, die mit Blut geschrieben? Die Mahnung jedenfalls kaum im Ohr, sang der Festspielchor schauerlich schön «Mein Herr und Gott, nun ruf’ ich dich, dass du im Kampf zugegen seist».

Zusammen mit Katharina Wagner zog Christian Thielemann in den Kampf: der Polarisierer, der im Juni postwendend auf die Nicht-Wahl zum Chef der Berliner Philharmoniker zum Musikdirektor der Bayreuther Festspiele ernannt worden war.

Wer will 1200 Euro pro Karte?

Wen wunderts, dass Wagners Weltgemeinde am Samstag ab 16 Uhr gebannt das Ohr ans Radio hielt, dass alle Welt erleben wollte, wie das Duo Wagner/Thielemann an seiner Bayreuth-Zukunft baute. 1200 Euro bot ein Schwarzhändler in einer Anzeige im «Bayerischen Kurier» für eine Karte. Ein reicher Russe, so erzählte er uns in der Pause, hatte ihm gesagt: «Ich zahle Ihnen 4000 für zwei Karten.» 30 bis 320 Euro kosten sie offiziell.

Auch die mächtigste Frau der Welt, Angela Merkel, stieg um 15.45 Uhr im türkisfarbenen Deux-Pièces aus einem VW-Bus, liess sich von den 1500 Schaulustigen wie ein Popstar feiern und nahm drinnen im Festspielhaus, das gerade mal 30 Festspieltage lang pro Jahr bespielt wird, in der Mittelloge Platz.

16.02 Uhr verdunkelte sich der Zuschauerraum: Das letzte Warnzeichen an die Zuschauer, die hier wegen der unbequemen Sitze bis zur letzten Sekunde stehen bleiben, und die Ermahnung zur Ruhe: Einen Dirigenten, der die Arme hebt, gibts in diesem Zauberhaus nicht zu sehen, hier ist der Orchestergraben verdeckt, Wagner wollte in dem für seine Musik 1876 eröffneten Haus die Illusion des «reinen» Musiktheaters perfektionieren.

Umso unheimlicher, wenn dann aus diesem mythischen Abgrund die ersten Klänge aufsteigen. Und die wurden von Thielemann so grossartig dirigiert, dass man sich ihrem Sog bis zum Schluss sechs Stunden später nicht mehr entziehen konnte.

Thielemann spinnt ein Klanggeflecht, das jede Regung auskostet und eben doch nie Stückwerk bleibt: Immer ist da der Blick auf die Entwicklung der Bögen und die verborgenen Energieströme. Die tumultartige Entfesselung ist diesem Dirigat ebenso eigen wie der Mut zur Weihe. Wer das hier je besser dirigierte, hätten wir gerne einen der Uralt-Wagnerianer gefragt, der noch die Festspiel-Legenden der 1950er- und 1960er-Jahre erleben durfte.

Und dann die Sänger! Evelyn Herlitzius ist eine Isolde, die mühelos die Riesenpartie bewältigt: innig und ausladend ihr Ton. Auch Stephen Gould (Tristan) geht nie die Kraft aus – und sein Tenor ist dennoch schön zu nennen. Georg Zeppenfeld verströmt als König Marke reinsten Balsam.

Die Regie beginnt klug und einfach: In einem Labyrinth von Schiffstreppen treffen Tristan und Isolde erstmals aufeinander, die Gehilfen Brangäne und Kurwenal können nur mit Mühe verhindern, dass sie sich nicht gleich vor Liebe verschlingen. Die beiden benötigen nicht mal einen Liebestrank, verschüttet wird der berüchtigte Saft. Verloren im Liebesrausch sind die zwei sowieso – und bald Gefangene von König Marke: dem Bräutigam Isoldes, dem besten Freund Tristans! Doch auch das kann die zwei nicht aufhalten, niemanden geht ihre Liebe etwas an: So singen sie denn ihre Liebes-Hymne für sich – dem Publikum den Rücken zugewandt. Die famose Bayreuther Akustik und das grosse Verständnis der Wagnerianer halten auch diesem Affront Katharina Wagners stand. Das Liebespaar schneidet sich die Pulsadern auf, ehe Marke dazwischengeht und Tristan abstechen lässt. Seine weihevollen Worte entlarvt die Regisseurin als Geschwafel. Zum Schluss wird Marke nicht triumphieren, aber Isolde dennoch für sich beanspruchen: Sie ertrinkt nicht in des «Weltatems wehendem All», sondern ihr Bräutigam Marke zieht sie in sein weltliches Reich zurück. Vorhang – und gewaltiger Jubel. Selbst für Katharina Wagner, die sich allerdings nur kurz und umringt von ihrem Team vor dem Vorhang zeigte. Angst vor der Liebesbekundung ihres Publikums? Bescheidenheit bestimmt nicht. Hätte sie sich gar eine Buh-Bravo-Schlacht gewünscht, die endlosen Wortgefechte unter den sich selbstkasteienden Wagnerianern?

Wie auch immer: Ob dieser stringent und spannende «Tristan» gar ihr Durchbruch als Regisseurin war? Bestimmt hat sie damit ihre Zukunft als Bayreuth-Herrscherin zusammen mit Thielemann gesichert.

Panne in der Pause

Das Festspielhaus strahlte hell in der Nacht, war tatsächlich nicht zusammengebrochen. Dumm nur, krachte ausgerechnet Angela Merkels Stuhl in der ersten Pause zusammen, worauf sie unter den Kaffeetisch rutschte. Bundestagspräsident Norbert Lammert und Kulturstaatsministerin Monika Grütters leisteten zwar Soforthilfe, so «Bild», doch es dauerte zwei lange Minuten, bis Merkel wieder auf die Beine kam. Später konnte sie die Aufführung dann weiter geniessen.

Unser reicher Russe wartete hingegen vergeblich auf eine «Tristan»-Karte: Keiner wollte seine hergeben. Auch für verlockende 1200 Euro nicht. Verständlich. Bereits Wagner selbst hatte die «Tristan»-Erwartungshaltungen ins Unermessliche erhöht: «Nur mittelmässige Aufführungen können mich retten! Vollständig gute müssen die Leute verrückt machen.» In Sachen gesundes Selbstvertrauen haben Urgrossvater und Katharina Wagner viel gemeinsam.