Bildhauerei mit den Mitteln der Sprache

Kann man Gespräche in bewegte Bilder giessen? Der Basler Videokünstler Till Velten gibt im Kunstmuseum Thurgau in der neuen Ausstellung unter dem Titel «La condition humaine» eine mögliche Antwort.

Christina Peege
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Till Velten: Installation in «La condition humaine» in der Kartause Ittingen. (Bilder: Kunstmuseum Thurgau)

Till Velten: Installation in «La condition humaine» in der Kartause Ittingen. (Bilder: Kunstmuseum Thurgau)

Dies ist ein Artikel der "Ostschweiz am Sonntag". Die ganze Ausgabe lesen Sie hier.

«Es klingt vielleicht blöd…» ist eine Bemerkung, mit der man in einer Kunstausstellung nicht rechnet. Sie klingt trivial – dennoch offenbart sie den Kern eines Menschen. Valentin heisst dieser Mensch und er tötet und präpariert die Forellen, die in der Kartause Ittingen verkauft werden. «Aber es ist einfach nur ein Job», ergänzt er seine Vermutung über Blödheit, während er tote Fische mit einem Messer aufschlitzt und ausnimmt. Solche Überlegungen sowie die dazu verrichteten Arbeiten hat der Basler Konzeptkünstler Till Velten in kurzen Videosequenzen festgehalten. Seine Strategie ist, mit Menschen Gespräche über Fragen zu führen, die ihn jeweils gerade sehr beschäftigen.

Sieben Bühnen hat er so geschaffen, auf welchen sieben unterschiedliche Menschen Raum und Zeit erhalten, um über sich selbst nachzudenken und über den Wert dessen, was sie machen. Es sind Menschen, die zunächst niemandem imponieren, dafür den Künstler umso mehr berührt haben. Da ist etwa der Autist Alex, der in der Gärtnerei von Ittingen in monotoner Arbeit Minze anpflanzt oder eine Künstlerin, deren Körpersprache ihn interessiert, eine Blinde, die mit ihrem bereits angejahrten Assistenzhund Wien durchwandert.

Erich Bödeker: Till und Tania Velten, Beton, bemalt.

Erich Bödeker: Till und Tania Velten, Beton, bemalt.

Zeugen dieser Selbstoffenbarungen sind bunt bemalte Skulpturen aus Beton, die Tiere oder Menschen darstellen, geschaffen von Erich Bödeker (1904 bis 1971). Werke des Autodidakten und Bergmanns aus dem Ruhrgebiet befinden sich in der Sammlung des Kunstmuseums Thurgau. Kurator Markus Landert hat gemeinsam mit Velten diese Betonfiguren den videographierten Porträts gegenübergestellt. Ein ganzes Jahr lang wird diese Ausstellung im Untergeschoss der Kartause Ittingen zu sehen sein.

Auf der Suche nach dem innersten Kern

Den Ausgangspunkt für die aktuellen Arbeiten Veltens bildet eine Doppel-Büste, auf der «Till und Tanja» steht. Es handelt sich um ein Porträt des Künstlers Till Velten und seiner Schwester Tanja, die mit ihren Eltern den zeitweilig in der deutschen Kunstszene als Geheimtipp gehandelten «Naiven» besucht hatten. Der Vater Veltens war ebenfalls Künstler, ausserdem Kunstlehrer und Kulturjournalist. Er hatte mehrere Artikel über den Autodidakten geschrieben.

Die Gegenüberstellung der naiv wirkenden Porträts mit den Videoarbeiten werfen Fragen nach Möglichkeiten und Grenzen des Porträts auf. Während Bödeker eher Charaktere kreiert, die in der Gesellschaft eine wichtige Rolle spielen, interessieren Velten Menschen mit einem sichtbaren oder unsichtbaren «Makel». Die gefilmten Gespräche und Aktivitäten schaffen ein inneres Porträt des Gesprächspartners, es ist eine Art Bildhauerei mit Mitteln der Sprache, gegossen ins Medium des Films.

Till und Tanja, um 1970, Fotograf unbekannt.

Till und Tanja, um 1970, Fotograf unbekannt.

Im weiten Spannungsfeld von beton-schwerem, bunt bemaltem «Abbild» in der Art Bödekers und den immateriellen, auf Auge und Ohr wirkenden filmischen «Seelenlandschaften» Veltens, kann sich nun der Besucher der Ausstellung auf die Suche nach der «condition humaine» machen, nach dem innersten Kern also, der den Menschen ausmacht. Gibt es diese menschlichen Grundparameter überhaupt oder ist alles vorgespielt, wie die räumliche Inszenierung in der Art von Guckkastenbühnen in der Ausstellung nahelegen könnte? Oder ist die condition humaine eben doch eine mythische Überhöhung, geschaffen durch Kirche oder Staat, um die Behauptung zu zementieren, dass der Mensch im Grunde unveränderlich und sein Schicksal unausweichlich ist? Velten verlässt mit seinen Fragen und künstlerischen Strategien den Boden des herkömmlichen Kunstbegriffs. Hier liegt denn auch die mögliche Antwort: Statt ästhetischer Erlebniswelten schafft er mit dem flüchtigen Medium Film einen Denkraum, in dem sich der Besucher in der Auseinandersetzung mit der Seelenlandschaft des Dargestellten neue Horizonte erschliessen und weitere Fragen stellen kann.

Till Velten: La condition humaine, Kunstmuseum Thurgau, Kartause Ittingen. Vernissage: heute So, 11.30 Uhr