Wer sorgte für Aufsehen? Die Kulturredaktion blickt zurück und pickt vier der interessantesten Kulturmenschen des Monats heraus.
So über Kunst zu schreiben – so einfach, aber so präzis und tiefgründig wie Annemarie Monteil –, würde ich das je schaffen? Die Basler Kunstkritikerin war mein grosses Vorbild. Ihre Texte waren nicht nur für mich als junge Journalistin Lehrstücke – Kunstkritik konnte man offiziell nicht lernen. Zwei Arten von Kritiken dominierten damals die Feuilletons: Die komplizenhaften Berichte aus dem inneren Kunstbezirk sowie Lob oder Verriss aus hoher Warte. Komplizin oder Päpstin? Annemarie Monteil schrieb anders: warmherzig wie die beste Freundin der Künstlerinnen und Galeristen, aber gleichzeitig kritisch und ehrlich, wie wenn sie die Kritisierten nie mehr treffen würde.
Ich hatte das Glück, beim Radio mit ihr zusammenzuarbeiten. Bildende Kunst hatte in den
80er- und 90er-Jahren ein grosses Gewicht, so engagierte DRS 2 Annemarie Monteil, die Spezialistin für Gegenwartskunst, Willy Rotzler, den Kenner der Konstruktiven, später Christoph Vögele, den gewissenhaften Wissenschafter und mich als freie Mitarbeitende. Die seltenen Sitzungen waren stets so anregende wie vergnügliche Diskussionen über Qualität und Tendenzen, über Hypes und Werte.
Ihren Besprechungen hörte man gerne zu: Da schmeichelte ihr weicher Solothurnerdialekt mit Anklängen an ihren Basler Wohnsitz (DRS 2 sendete «Reflexe» damals auf Mundart). Da war ihre Diktion – nicht ganz radiokonform fanden die Sende-Verantwortlichen – aber in Tempo und Fluss so trefflich beschreibend, wie wenn sie vor unseren Ohren ihre Gedanken verfertigen würde. Dabei war der Text bis aufs letzte Wort ausgefeilt aufgeschrieben. So wirkte ihr Urteil kompetent, nachvollziehbar und man spürte, wie vernichtende Urteile sie selber schmerzten.
Sie selber war unwichtig
Annemarie konnte zuhören, sie wollte hören, was Künstlerinnen und Museumsleute zu sagen hatten, selbst Kinder oder Aussenseiter sah sie als ernstzunehmende Bilder-Schöpfer. Aber dann unterzog sie das Gehörte und Gesehene einem Verarbeitungsprozess, um zu erklären, einzuordnen, zu vermitteln. Ihr ging es nie um sich selber, sondern um die Kunst. Um die Künstler und Künstlerinnen, um ihre Leser und Zuhörerinnen.
Aufgewachsen war Annemarie in Solothurn, dort lebte sie mit Mann und zwei Töchtern nach dem für sie wichtigen Jahr in Paris, in dem sie Kunstgeschichte studiert hatte («leider nicht fertig»). Sie begann zu schreiben, für die «Solothurner Zeitung», die «Nationalzeitung», engagierte sich fürs Kunstmuseum. Nach ihrem Umzug Mitte der 70er-Jahre auch für die Museen und Galerien in Basel. Sie kannte alle und wusste vieles, aber sie war die Diskretion in Person. Mit Architekt Hans Luder fand sie einen Lebenspartner und den Zugang zur Architektur.
Als ich Redaktorin wurde, rief sie manchmal an: «Du weisst sicher ...», meinte sie diplomatisch, wies auf «Büechli», Geburtstage oder Ausstellungen hin, die nicht zuoberst auf dem Radar aufschienen, ihr aber am Herzen lagen. Irgendwann wurde mir bewusst, dass Annemarie längst pensioniert sein müsste. Welch absurde Idee! Wie könnte sie ihre Leidenschaft – die Kunst, die Vermittlung – einfach abstellen? Bis zuletzt arbeitete sie, etwas langsamer und behindert durch die schwindende Sehkraft, aber mit ungebrochener Neugier. Ihre letzte Petition für eine nachhaltigere Finanzierung des Kunstmuseums Basel reichte sie als 91-Jährige ein. Welch ein Vorbild! Danke, Annemarie Monteil. Sabine Altorfer
Die Rockstars sterben aus. Ein Grund dafür findet sich im Wandel der Musik, ein anderer im Wandel der Medien. Die ständige Verfügbarkeit durch das Internet hat dem Rock den Mythos genommen. Einer der letzten Stars seiner Generation hat nun aber gerade mithilfe der neuen Medien zum Höhenflug im «Eté indien» angesetzt: Paul McCartney.
Auf Youtube, Instagram und Co. konnten wir mitverfolgen, wie der Ex-Beatle frenetisch bejubelt wird: Sei es beim Überqueren des Fussgängerstreifens in der Londoner Abbey Road, auf einer musikalischen Autofahrt durch die Beatles-Stadt Liverpool oder bei einem Konzert in der New Yorker Grand Central Station. Auf allen Kanälen hat McCartney auf sich und sein Vermächtnis aufmerksam gemacht, um sein neues Album «Egypt Station» zu bewerben. Der Plan ging auf, das zeigen nicht nur Millionen Views. Erstmals nach 36 Jahren hat er wieder die Spitze der US-amerikanischen Billboardcharts erobert. Der Erfolg täuscht allerdings darüber hinweg, dass die Musik nicht ganz so prickelnd ist wie die clevere PR. Zum einen, das hat man bei seinem Live-Auftritt im Netz mitverfolgen können, ist McCartneys Stimme brüchiger geworden. Zum anderen sind da die Songs, die lieblich sind, aber auch oft beliebig. Am spannendsten klingt McCartney im Album-Finale, wo er sich an komplexere Strukturen herantraut.
Youtube verleiht ihm zwar Flügel, aber nur selten erreicht er die musikalische Grandezza wie zu Zeiten mit den Wings. Marc Krebs
Sie war eine der erfolgreichsten Fotografinnen der Fünfzigerjahre. Weil ihr Vater Jude war, musste Inge Feltrinelli, geborene Schönberg, das Gymnasium in Göttingen kurz vor dem Abitur verlassen. Sie radelte nach Hamburg, um Fotoreporterin zu werden. Für das Frauenmagazin «Constanze» ging sie nach New York, wo ihr Greta Garbo vor die Linse lief.
Den Durchbruch erzielte die damals 23-Jährige mit einer Fotoreportage über den Schriftsteller Ernest Hemingway, den sie auf Kuba besuchte. Ihr wohl berühmtestes Foto zeigt sie selbst, Hemingway und einen riesigen Schwertfisch. Fotos von Pablo Picasso, Simone de Beauvoir oder John F. Kennedy folgten. 1960 heiratete sie den Verleger Giangiacomo Feltrinelli und gab das Fotografieren auf. Stattdessen wurde sie die Seele des in Italien bekannten unabhängigen Verlages Feltrinelli, brachte deutsche Schriftsteller wie Günter Grass ins Programm und führte nach dem Tod ihres Mannes den Verlag erfolgreich durch eine schwere Krise. Sie wurde mehrfach für ihr Werk ausgezeichnet, heute ist ihr Sohn Verlagsleiter. Inge Feltrinelli ist 87-jährig in Mailand gestorben. Anne-Sophie Scholl
Danny Boyle wurde als Regisseur des nächsten Bond-Films gefeuert, weil seine Ideen Hauptdarsteller Daniel Craig nicht passten. Zum Handkuss kommt nun Cary Fukanaga. Ein Mann voller Ideen, wie seine aktuelle Serie «Maniac» beweist. Sollte Craig wieder knurren, kein Problem: Der elegante Fukunaga könnte ihn entlassen – und die Rolle gleich selber übernehmen. Lory Roebuck