Hintersinnig bringt uns die Künstlerin Kathrin Sonntag mit ihrer Ausstellung im Kunstmuseum Solothurn ins Stolpern und Schmunzeln, zu neuen Wörtern und alten Tieren.
Der Ausstellungsbesuch beginnt mit einem Stolpern. Noch ist der grüne Teppich, den Kathrin Sonntag im Kunstmuseum Solothurn für das Publikum ausgelegt hat, am Anfang nicht fixiert. «Das soll ändern», sagt die Künstlerin, «generell liebe ich aber Stolperfallen.» Gedankliche und visuelle zumindest. Der grüne Teppich, der wie ein roter Faden durch alle Räume im Kunstmuseum Solothurn führt, soll sich nur an seinen Enden aufwerfen und rollen, so dass man die Gefahr des Stolperns erkennt, aber nicht auf die Nase fällt.
Zum Auftakt präsentiert Kathrin Sonntag sprachliche Stolperer – auf mehrere Projektionen verteilt. «Melankohle» leuchtet auf, auf ein dunkles Zettelchen geschrieben. Über Begriffe wie «kann ich nicht nachverstehen» oder «vormorgen» schmunzelt man und sinniert über falsche Sprachbilder («auf nüchternen Morgen»), kreative oder unabsichtliche Wortschöpfungen («Lottovorhersage», «Audi-Sarabien») und darüber, was sie mit uns anstellen. «Humor ist dabei wichtig», findet die Künstlerin. «Wenn wir zusammen über etwas lachen, schafft das eine gemeinsame Basis.» Spass gemacht habe ihr selber auch das Sammeln der Wörter und ihre Präsentation: ob auf Post-its, kombiniert mit Objekten oder farbigen Blättern. Die 86 projizierten Bilder würden bestens als Memes, als witzige Wort-Bild-Kombis, im Internet funktionieren.
An Internet-Ästhetik erinnern auch ihre weiteren Arbeiten. Die visuellen Stolperfallen mit fotografierten Tapetentüren, zugebauten Fenstern des Museums, der nutzlos vor eine Wand gehängten Jalousie etwa. Sähe man sie nur im Netz, wäre ihre Wirkung geringer. Denn erst die Präsentation im und die Wechselwirkung mit dem Raum verleiht ihnen Sinn. Das gilt für die im Foto und real vorhandene Pflanze auf einem Spiegelsockel wie für Fotos einer von Efeu bewachsenen Mauer, die mit einer grünen Linie versprayt sind. Die Linie zieht sich weiter auf der Museumswand, die scheinbar am Boden vergessene Spraydose verrät: echt.
Nur in echt funktionieren die Sockel aus Metallplatten und Schraubzwingenbeinen: man fürchtet um das Gleichgewicht des Dreibeiners, fragt sich, wie die Gips-Plastikhandschuh-Hand darunter geraten ist, probiert die zerstückelten und neu arrangierten «Dinglinge» auf den Fotocollagen wieder in ihre ursprüngliche Unversehrtheit zurückzudenken oder das Foto des dramatisch rot tropfenden Herzens ruhig in seiner banalen Sirup-Alltäglichkeit zu sehen.
Selbst ihre Augen bietet Kathrin Sonntag der Betrachterin zur Betrachtung an – perfekte Glasaugenduplikate, aber doch etwas gruselig.
Die Berliner Künstlerin mit Schweizer Wurzeln («meine Mutter ist Bernerin, aber lebt schon lange in Berlin) nach Solothurn geholt hat Assistenzkurator Robin Byland.
Kathrin Sonntag selber ist bei ihren Recherchen über die Fotos von Max Doerfliger aus dem ehemaligen Naturmuseum in den heutigen Räumen des Kunstmuseums gestolpert und hat sich auf die Suche nach den ausgestopften Tieren gemacht. Fotografisch hat sie die Exponate nun aus dem Estrich der Polizei, wo sie nebst Besen und anderem Kram gelagert werden, an ihren alten Ort gebracht. Ein dreifacher visueller Salto quasi.
Hirn und Auge werden beim Rundgang immer übermütiger. Ein wandgrosses Paar Würste (eigentlich eine Klammer) wird beim Witzeln über das Gesehene, Versteckte und Gedachte als Banane betitelt, sei es wegen des gelben Untergrunds oder weil in einer anderen Raumecke ein Bund der gelben Früchte liegt und wiederum mit Fotos von stehenden, angeschälten Bananen unsere Assoziationen ankurbelt.
Da bringt uns selbst eine Pfeife, die zum Fragezeichen wird und gar denken soll, nicht mehr ins Stolpern. Auch nicht der Buchstabensalat-Titel der Ausstellung: «ICHDUERSIEESWIRIHRSIE».
Kathrin Sonntag: Kunstmuseum Solothurn, bis 12. September.
Seit 24 Jahren leitet Christoph Vögele das Kunstmuseum Solothurn. Bevor der Chef Ende Jahr in Pension geht, holt er die besten Flaschen aus dem Keller. «Réserve du Patron» nennt er sinnigerweise die Zusammenstellung von rund 100 der gegen 2000 Arbeiten auf Papier, die während seiner Zeit ins Museum kamen – sei es als Ankauf oder Geschenk. «Der Zeichnung gehört mein Herz», bekennt er. Und auch dem Dunklen, Tiefsinnigen, Existenziellen. Die Tagebücher von Heinz Egger, die leeren Gesichter von Albrecht Schnyder berichten davon.
Schön bei den Landschaften die Holzschnitte von Martha Cunz, radikal die Klebstreifen-Körperbilder und Spraylandschaft von Mariann Grunder, berückend das riesige Aquarell von Uwe Witter (bis 26. September).