Das Museum im Lagerhaus in St.Gallen zeigt Werke des dänischen Transgender-Künstlers Ovartaci erstmals in der Schweiz.
Fünf Figurinen aus Papiermaché sind lose in einer Vitrine versammelt: Eine ist grün lackiert und steht behauptend da, die Hände in die Hüften gestemmt. Eine andere gibt sich wesentlich anmutiger und trägt ein Kleid, das mit winzigen Blümchen verziert ist. Geschaffen hat sie Ovartaci, mit bürgerlichem Namen Louis Marcussen. Seine Figurinen zählen zu den faszinierendsten Objekten der eben eröffneten Doppelausstellung im Museum im Lagerhaus.
Ovartaci (zu Deutsch etwa Oberdepp oder Überpatient) ist ein wichtiger Protagonist der Outsider Art und ein früher Transgender. Der Däne interessierte sich schon im Jugendalter für Buddhismus, Transformation und Wiedergeburt. Erdzeitlich lebte Ovartaci von 1894 bis 1985, in seiner eigenen Zeitrechnung seit über 3000 Jahren.
Zeitlebens wollte er seine männliche Identität abstreifen: «Die Frau ist das Idealbild von Ovartaci, das höhere Wesen», so Monika Jagfeld, Direktorin des Museums im Lagerhaus. Eine Gouache-Zeichnung zeigt denn auch den «Tag der Befreiung»: Ovartaci war es im zweiten Anlauf gelungen, sich den Penis zu amputieren. Wenig später stimmte sein Psychiater der Operation zur Frau zu.
Die Figurinen in der Vitrine können mehr als bloss schön aussehen. Es handelt sich um achtsam verarbeitete Rauchinstrumente, die laut Ovartaci doppelten Genuss versprechen: «Guter Tabak – und das durch den Körper einer Frau», beschreibt es Jagfeld. Anmutig und androgyn sind auch Louise und Verda, Letztere lebensgross und eine Mischung aus Pariser Chic und Frauenaugen wie im Alten Ägypten. Ovartaci war ein Einzelgänger, hat sich aber ständig mit diesen Puppen umgeben und zuweilen sogar mit ihnen gestritten.
Wie sehr sie Teil seines Lebens waren, wird auf den tapezierten Fotos seines Klinik-Zimmers deutlich. Von den grossformatigen Aufnahmen dürfte es in der Ausstellung ruhig noch mehr geben. Denn sie erlauben es, in Ovartacis Universum der sphärischen Hybrid-Wesen einzutauchen, wo Zeit, Raum und eindeutige Geschlechtszuweisungen keine Rolle spielen.
Weniger entrückt zeigt sich der zweite Teil der Ausstellung, wo Werke zeitgenössischer Kunstschaffender zum Thema Transidentität versammelt sind. Da steht etwa ein Piktogramm von Sascha Alexa Martin Müller, das sich transformiert, sobald man ihm gegenübertritt. Entfernt man sich wieder, so bleibt das Piktogramm in einem Zwischenzustand stehen. Die binäre Unterteilung in weiblich und männlich wird auf diese Weise klug hinterfragt.
Gewohnt heiter gehen Muda Mathis & Sus Zwick in ihren beiden Arbeiten ans Werk: Das Duo, das im Sommer beim Performance Open Air im Stadtpark und kürzlich im Fenster von Hiltibold an der Goliathgasse zu sehen war, greift auch diesmal Rollenerwartungen auf. Seine Foto-Serie «Grüner Donnerstag» beginnt mit einer spiessbürgerlichen Interieuraufnahme. Es folgt ein Spiel mit Geschlechterrollen und entwickelt sich in einen Dschungel mit Zimmerpflanzen und nacktem Menschenpaar.
Daran knüpft die Videoarbeit «Vereinte Geometrie» an, worin das Duo – ebenfalls nackt – den Körper als Material oder Werkzeug verwendet, um diverse Bewegungen und Posen auszuführen. Das schwarz-weisse Video erinnert an Bewegungsstudien von Eadweard Muybridge aus dem 19. Jahrhundert. Muybridge war jener Foto- und Filmpionier, der nachweisen konnte, dass ein Pferd im Galopp einen Moment lang alle vier Hufe in der Luft hat.
Das Duo hingegen schert sich trotz gestrengem Setting weniger um Wissenschaft, seine Bewegungen werden je länger je kurioser. Angeheitert geht man Richtung Ausgang, und was einem als erstes auffällt, ist das Piktogramm der Toilette. Man ist versucht, es auf der Stelle zu transformieren. Längst ist es an der Zeit, es zu tun.
«Crazy, Queer and Lovable: Ovartaci» und «ICH DU ER SIE XIER: Transidentität»; Doppelausstellung bis 1. März 2020, Museum im Lagerhaus, St.Gallen