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Juan Moreno erzählt, wie er seinen «Spiegel»-Kollegen Claas Relotius als Lügner entlarvte. Doch sein Buch «Tausend Zeilen Lüge» hat selber Mängel.
Ohne Juan Moreno würde das deutsche Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» vielleicht noch immer die erfundenen Geschichten seines Starreporters Claas Relotius drucken und damit ein Millionenpublikum betrügen. Die riesige Redaktion und die angeblich vorbildliche Faktencheck-Abteilung liessen sich über viele Jahre von Relotius blenden und fanden nicht heraus, was Relotius’ Arbeitskollege Juan Moreno bei einem gemeinsamen Text über militante Einwanderungsgegner in den USA gelang: Den mehrfach preisgekrönten Journalisten als Fälscher zu enttarnen. Und dies gegen hartnäckigen Widerstand der «Spiegel»-Chefetage, die zuerst dem 33-jährigen Relotius glaubte und Moreno, 47, wegen seiner Vorwürfe entlassen wollte.
Moreno hat also grosse Verdienste. Dass er ein Buch über den wohl grössten Fälschungsskandal der jüngeren Mediengeschichte schreiben würde, war ebenso naheliegend wie ehrgeizig. Denn ein 285 Seiten starkes Buch mit dem Anspruch, in dieser Sache zu «schreiben, was ist» (so lautet die “Spiegel”-Devise), muss fehlerfrei sein und darf keine Angriffsfläche bieten. Zuallerletzt für Relotius.
Moreno hatte bei seinen Recherchen vergeblich versucht, an ihn oder sein näheres Umfeld heranzukommen. Doch er musste damit rechnen, dass sich Relotius nach Vorliegen des Buches melden würde. Das ist nun geschehen. Sein Anwalt geht gegen das Buch vor und behauptet, darin gebe es 22 Stellen mit «erheblichen Unwahrheiten und Falschdarstellungen». Die Wochenzeitung «Die Zeit» schrieb daraufhin, sogar Moreno sei womöglich von der Relotius-Krankheit angesteckt worden - «jener Mann, der sich zutraute, die Diagnose zu stellen.»
Man ist nicht geneigt, dem überführten Schwindler Relotius zu glauben, wenn er 22 Fehler moniert. Und doch fragt man sich, warum es in dem Buch absolutistisch heissen muss, die Bürotür von Redaktor Relotius sei «immer» verschlossen gewesen, oder er habe «unbedingt» Reporter werden wollen (wo er nicht mit seinen Eltern sprechen konnte). Woher will er das wissen?
Vielleicht sind solche Details Spitzfindigkeiten. Gravierender ist, dass womöglich die Schlusspointe des Buches nicht stimmt. Moreno beschreibt, dass Relotius einem Kollegen einige Monate nach dem Skandal mitgeteilt habe, er halte sich gerade in einer Klinik in Süddeutschland auf. Tags darauf sei Relotius aber auf dem Velo gesehen worden - in Hamburg.
Diese Episode soll belegen, dass Relotius nach wie vor lügt und lügt und lügt. Doch Relotius bestreitet die Velo-Szene, und Moreno hat keine Belege dafür, da er nur indirekt davon erfuhr. Auf einem Podium damit konfrontiert, sagte Moreno laut «Süddeutscher Zeitung» sichtlich erzürnt, er gehe davon aus, dass die Szene stimme. Überzeugend klingt das nicht. Ebensowenig kann Moreno beweisen, dass Relotius, um gut dazustehen und Mitleid zu erwecken, eine krebskranke Schwester erfand (die er nicht hatte).
Wie es genau war, wird man wohl nie erfahren, aber allein der Anschein ungenauen Recherchierens ist bei diesem Buch verheerend. Doch es ist nicht das einzige, was daran fragwürdig ist. Es ist, für dieses Thema, zu emotional geschrieben; vielleicht liegt es daran, dass Moreno «wie besessen» war von Relotius, wie er selber einräumt.
Die Dinge sind nicht kompliziert im Relotius-Universum.
(Quelle: Juan Moreno)
Relotius scheine für ihn «der am einfachsten zu porträtierende Mann des Planeten zu sein»: Er sei still, zurückhaltend, schüchtern, stets freundlich und ausgeglichen. Das ist ein sehr simpler Befund, der dem Verständnis eines guten Reporters entgegensteht, das Moreno ein paar Seiten weiter vorn durchaus treffend formuliert: «Die Dinge sind nie schwarz oder weiss. Sie sind grau, und das muss die Reportage abbilden.» Relotius aber, bilanziert Moreno, habe nie grau geschrieben: «Die Dinge sind nicht kompliziert im Relotius-Universum. Ein Reporter-Populist, es ist immer ganz leicht. Das ist der ganze Trick.»
Vielleicht hätte Moreno seine theoretischen Ausschweifungen über guten Journalismus im allgemeinen und Reportagen im Besonderen besser weggelassen. Nur schon der Untertitel des Buches hat etwas Anmassendes: «Das System Relotius und der deutsche Journalismus.» Eine sachliche Darstellung darüber, wie er Relotius am Beispiel der USA-Reportage der Fälschung überführte (und die ist drin), wäre Stoff genug für das Buch gewesen. Unnötig sind auch Morenos seitenlange Selbstbetrachtungen, in denen er sich als einfacher Einwanderersohn dem privilegierten Hanseaten Relotius gegenüber stellt. Darin stilisiert er sich selber zum Helden.
Heldenhaft war, wie Moreno seinen Kollegen auffliegen liess. Das Buch selbst ist es nicht.
Das Buch: «Tausend Zeilen Lüge - Das System Relotius und der deutsche Journalismus», von Juan Moreno. Erschienen im Rowohlt-Verlag in Berlin