Alles ist beseelt - Eine filmische Entdeckungsreise durch die Natur

Peter Mettler, kanadischer Regisseur mit Schweizer Wurzeln, lotet in seinem neuen Film die Grenzräume zwischen zwischen Mensch und Tier aus. Dafür hat er die Natur in all ihrer Schönheiten eingefangen.

Interview: Irene Genhart
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Der Naturphilosoph David Abram reist mit Filmemacher Peter Mettler in den Grand Teton National Park in Wyoming zu den kämpfenden Elchen. (Bilder: Outside the Box)

Der Naturphilosoph David Abram reist mit Filmemacher Peter Mettler in den Grand Teton National Park in Wyoming zu den kämpfenden Elchen. (Bilder: Outside the Box)

In «Becoming Animal» begeben sich die beiden Dokumentar­filmer Peter Mettler und Emma Davie mit dem Erkenntnisphilosophen David Abram auf eine faszinierende Entdeckungsreise in die Natur. Der kanadisch-schweizerische Regisseur, bekannt für seinen poetischen Dokumentarismus, hat die Naturschönheiten im Grand Teton National Park in Wyoming in erhabenen Bildern eingefangen. Der Philosoph ­David Abram kommentiert die Aufnahmen. Abrams Buch «Im Bann der sinnlichen Natur. Die Kunst der Wahrnehmung und die mehr-als-menschliche Welt» von 1996 war ein Bestseller; nach seiner 2010 erschienenen Studie «Becoming Animal», in dem es um die sinnliche Erforschung unseres Tier-Seins geht, ist der Film von Peter Mettler benannt.

Peter Mettler, umarmen Sie Bäume?

Habe ich auch schon. Aber ich liege lieber auf dem Boden, spüre Gras, Erde, Wasser.

Also ist Ihnen die Welt des Naturphilosphen und Schriftstellers David Abram vertraut?

Ein bisschen. Aber David ist Schriftsteller. Für ihn ist es einfach, sich in die Wildnis zurückzuziehen, als Filmemacher ist man immer auf Technologien angewiesen. Ich unternehme zu Hause in Kanada aber oft ausgedehnte Wanderungen und fahre Kanu.

Am Anfang des Films sind Sie zusammen mit David nachts im Grand Teton National Park unterwegs. Es ist stockdunkel, man hört Geräusche, irgendwann röhren Elche. War das nicht gespenstisch?

Ich kenne solche Nächte von ­Ausflügen in Ontario, sie sind magisch. Man hört es rascheln, die Umgebung liegt im Mondlicht. Abgesehen von hin und wieder auftauchenden Flugzeugen ist alles Städtische weit weg. Da man nie weiss, was oder wer ­Geräusche verursacht, schalten sich die Überlebensinstinkte ein. Ich fühle mich in solchen Nächten dem Boden, den Bäumen und Tieren in der Umgebung viel ­wacher verbunden als jetzt mit dem Stuhl, auf dem ich sitze.

Zur Person

Als Kind von Schweizer Eltern wird Peter Mettler 1958 in Toronto ­geboren. Seinen Highschool-Abschluss macht er in der Schweiz.   Mettler lebt vorwiegend in Kanada, hält sich aber immer wieder mal ein paar Monate in der Schweiz auf. Die grandiose Schönheit seiner Filme wie etwa «Picture of Light», in dem er den Nordlichtern nachspürt, oder «End of Time» über die Erfahrung von Zeit machen ihn weit über die Grenzen Kanadas hinaus bekannt. (red)
Filmpremiere: 27.10. in Anwesenheit des Regisseurs, Kinok, St. Gallen

«Becoming Animal» führt zurück zu des Menschen ursprünglicher Verbundenheit mit der Natur und reflektiert zugleich unseren Umgang mit Technologien. Wie finden Sie die Themen Ihrer Filme?

In meinen Augen erkunden viele meiner Filme unsere Wahrnehmung von der Welt. In «Becoming Animal» habe ich mich durch Davids Präsenz und seine Ideen viel bewusster als fühlendes Lebewesen wahrgenommen, als ich es beim Filmemachen sonst tue.

Was bedeutet Ihr neuester Film für Sie?

Es geht darum, unsere animalischen Sinne wieder zu entdecken. Als Mensch unterscheiden wir uns von Tieren unter anderem durch die Sprache, diese kann unserem direkten Erleben aber im Weg stehen. Wir schauen einen Baum an und denken: «Das ist ein Baum.» Wenn man einen Film dreht, ist es noch verrückter: Man erfährt die Welt indirekt durch eine Blackbox. David geht es darum, die Welt über die Sinne direkt zu erfahren.

In Ihrem Film wird unterschieden zwischen belebter und unbelebter Welt. Metaphysisch aber ist alles einfach Energie. Denkt David nie in diese Richtung?

Er tut es im Film in Ansätzen, etwa, wenn er von seinem Auto spricht und sagt, dass Dinge ein Eigenleben haben und uns gut behandeln, wenn wir ihnen einen Namen geben. In seinen Büchern geht er noch weiter. Meine Filme drehen sich um dieses Paradox von unmittelbarem (wirklichen) und mittelbarem Erleben. Dabei sind letztlich, gerade weil wir sie selber kreiert haben, auch Technologien Teil unserer Entwicklung und unserer Weltwahrnehmung. David sagt, wir haben ein Bedürfnis, zum animistischen Leben zurückzufinden, das wir früher hatten. Wir aber nehmen im Film abstrakte Bilder, und diese führen zurück an einen ähnlichen Ort, im Heute und mit Hilfe der Technologien.

Es gibt in «Becoming Animal» einmalige Tieraufnahmen – etwa von kämpfenden Elchen. Wie kamen Sie zu diesen?

Echte Tierfilmer ziehen monatelang durch die Wildnis, bauen Verstecke und lauern tagelang mit dem Finger am Drücker. Wir aber waren wie Touristen und liessen uns treiben. Ich hatte unheimliches Glück: Ich filmte den einen Elch und habe mich gewundert, als er mit dem Kopf zu wackeln begann. Den anderen habe ich erst gesehen, als sie aufeinander losgingen. Das ist beim Filmdrehen übrigens immer sehr faszinierend. Oft beginnt man aus purer Intuition zu filmen – und dann geschieht vor laufender Kamera tatsächlich etwas Aussergewöhnliches. Das ist das Glück des Zufalls.