Frauen sind die Hauptfiguren in der Kunst von Ana Vujić. Und sie sprengen jeden Rahmen. Im Kunstraum in Baden hat sie aus ihren Bildern einen begehbaren Parkour aufgebaut.
Es ist die Arbeit einer Nachtwandlerin. Ana Vujić arbeitet am liebsten nachts, wenn der Tag fern und die Zeit endlos scheint. Aus ihren Bildern sprechen Träume, die sich nicht selten als Albträume entpuppen: Dort springt das Reh – aber verfängt es sich nicht sogleich im Gestrüpp? Eine Frau, sie ist eindeutig Mutter, reckt stolz die Milchpumpe in die Höhe wie Eugène Delacroix’ Liberté die französische Landesflagge. Doch unter ihren Füssen wird der Boden zum Strudel.
«Brutal», entfährt es der Betrachterin. Ana Vujić neigt den Kopf und überlegt, sie lässt sich Zeit mit ihren Antworten. «Interessant», findet sie die unwillkürliche Bemerkung. So sei es nicht gemeint. In den zerfurchten Böden, die sie malt, sieht sie neue Wege: «Vielleicht geht es weniger um die Steine, die im Weg liegen, als vielmehr darum, wie man sie aus dem Weg räumt.» Die Künstlerin musste selbst einige Hindernisse überwinden.
Ana Vujić wurde 1981 in Serbien geboren, als 9-jährige zog sie mit ihren Eltern nach Basel. Die Wohnung lag am Messeplatz, wo jeden Frühling die Kunstmesse Art Basel stattfindet. Erste Besuche an der Messe weckten ihr Interesse an der Kunst, später studierte sie aber nicht an der ebenfalls nur einen Steinwurf entfernten Kunstgewerbeschule, sondern an der Universität Kunstgeschichte. Die Bezüge zu alten Meistern, zu Ikonen und populären Kunststars erkennt man in ihren Arbeiten wieder. So wie eben die Mutter mit der Milchpumpe, die zu Delacroix’ Liberté wird.
Diese Mütter, die auch Kämpferinnen sind, trifft man immer wieder an in Vujić’ Werk. Bei diesem Motiv ist die Künstlerin bei sich, vor etwas mehr als einem Jahr wurde sie Mutter. Die Mutterschaft ist eine Aufgabe und eine Rolle, in der sie sich zunächst zurecht finden musste. «Heute ist die Erwartung an Frauen, dass sie alles unter einen Hut bringen: Dass sie gleichzeitig Mütter und erfolgreich im Beruf sind», sagt Ana Vujić. Und dennoch: «Ich wurde während meiner Schwangerschaft oft gefragt, ob ich mit der Kunst weitermachen werde. Mutterschaft und Kunst sind eben beides Aufgaben, bei denen man 100 Prozent geben muss.»
Auch das Trudelhaus zeigt zurzeit Malerei, die in Traumlandschaften entführt. Barbara Ellmerer, Paul Takács und Helena Wyss-Scheffler bespielen zu dritt die verwinkelten Etagen des Altstadthauses. Ellmerer findet in einzelnen Pflanzenzellen faszinierende Landschaften. Wyss-Scheffler skizziert Reisen, ebenso wie sie in Erinnerungen haften. Takács setzt in diese Welten fantastische Wesen. Der Künstler ist ein Geschichtenerzähler, dem es sich zuzuhören oder -sehen, lohnt. (ray)
bis 2. Juli, Trudelhaus, Baden
Eine Mutter muss vieles sein, und sie kann noch viel mehr sein. Aus ihren Zeichnungen spricht nicht nur ein Aktivismus, sondern auch eine Zärtlichkeit. Besonders gut zu sehen ist diese bei einem fast versteckten Porträt ihrer ebenfalls am liebsten bei Nacht schaffenden Grossmutter.
Das Format, auf dem die Künstlerin arbeitet, ist eindrücklich, ein Bogen Papier oder eine Leinwand reichen dafür nicht aus. Sie füllt ganze Wände mit ihren selbstbewussten Kohleschwüngen, die an Käthe Kollwitz denken lassen. Zwei Meter hoch sind schliesslich die Bilder mit sprechenden Titeln wie «Milk & Money» oder «Sleepless Dreamer». Im Kunstraum verdichten sie sich sie zu einem Parkour, bei dem man manchmal um die Ecke blicken muss, um das ganze Bild zu sehen.
Das grosse Format kommt von der Strasse. Basel – wer mit dem Zug durch die bunt besprayte Einfahrt in der Stadt ankommt, ahnt es – hat eine grosse Graffiti-Szene. Ana Vujić machte Street-Art. In Basel, aber auch in anderen Städten, platzierte sie mit Kleister grossformatige Zeichnungen an Fassaden. Seit 2017 hat sie einen eigenen Kunstraum, «Voltage», für den sie thematische Ausstellungen kuratiert.
Die politischen und sozialkritischen Positionen aus der Street Art sind bis heute geblieben. Für das letzte Bild auf dem Parkour verlegt sie Krieg und die Flucht auf eine meterlange Theaterbühne. Während ein Ballon friedliche Zeiten verspricht, schichtet am Bild- und Bühnenrand ein Soldat Gewehre. Sind es Grabmale oder will er sie in der aufgelockerten Erde vergraben? Jeder Betrachter wird darauf eine andere Antwort finden. Leerstellen setzt die Künstlerin ganz bewusst, sie sollen gefüllt werden mit eigenen Bildern.
Ana Vujić. Bis 9. Juli. Kunstraum Baden. Talk «Balkan On My Mind» – Kulturschaffende mit Blakanwurzeln im Gespräch am 2. Juli.