Der «Summer of Love» vor 50 Jahren war der Höhepunkt der Hippiekultur. Gleichzeitig katapultierte sich die Rockmusik in neue Sphären.
Pirmin Bossart
«If you’re going to San Francisco, be sure to wear some flowers in your hair», hiess die rührselige Hymne von Scott McKenzie. Sie lockte 1967 Tausende von jungen Leuten an die Westküste und leitete damit gleich den Sinkflug für diese Bewegung ein. Denn wo massenhaft Leute hinpilgern und Medien hinterherhecheln, hat sich der «Spirit» in der Regel schon längst aus dem Staub und dem Mainstream Platz gemacht. Das war in San Francisco nicht anders.
Verglichen mit dem explosiv-politisierten Jahr 1968, das gemeinhin als prägend für die «Sixties» gilt, war der kulturelle und spirituelle Aufbruch, wie er sich 1967 geballt manifestierte, viel massgebender und auch nachhaltiger für den Wandel der Gesellschaft und ihrer Werte. Die Hippiekultur entwickelte sich ab 1964 zu einem bunten Konglomerat von verschiedenen Stämmen («tribes») und ihren Haltungen. Philosophische Literaten wie Aldous Huxley oder Alan Watts waren sinnstiftender als Marcuse und Horkheimer. Die Interessen fokussierten sich auf östliche Religionen, Umweltbewusstsein, kollektive Lebensweisen, freie Beziehungen, Love und Peace und psychedelische Drogen. Untergrundzeitungen wie «The Oracle» verkündeten die neuen Lehren.
Zum Brennpunkt der neuen Bewegung wurde das Human Be-In, das am 14. Januar 1967 im Golden Gate Park in San Francisco stattfand. Anlass für diese Zusammenkunft war das Verbot von LSD im Oktober 1966. Der Harvard-Psychologe Timothy Leary rief zum «turn on, tune in, drop out», Beat-Poet Allen Ginsberg sang Mantras, Zen-Buddhist Gary Snyder las Gedichte, The Grateful Dead gaben eines ihrer zahllosen Freikonzerte vor Tausenden von bunt gekleideten Menschen. Die Lager von Hippies, Linken, Freaks, Träumern, Aussteigern, Feministinnen, Spirituellen und Black-Panther-Sympathisanten waren in dieser Frühzeit vermischt. Sie alle bildeten die Gegenkultur, die sich Bahn brach und im Juni 1967 mit dem Monterey Pop Festival ein weiteres Mal ein kulturell nachhaltiges Happening zelebrierte.
Überhaupt erlebte 1967 die Pop- und Rockmusik einen Schub an Kreativität, wie es ihn in dieser Vielfalt und Verrücktheit danach nicht mehr gegeben hat. In San Francisco wurden die Folkweisen von Beatniks und Bohemiens in elektrisierende Songformate und ellenlange Jams eingeschmolzen. Acid-Rock und psychedelische Popmusik standen in direktem Zusammenhang mit dem Konsum von LSD, der wiederum (Plakat-)Künstler wie Wes Wilson, Stanley Mouse, Victor Moscoso oder Rick Griffin beeinflusste. Die psychedelische Musik erwuchs an den Acid-Tests 1965 und 1966 und wurde später in angesagten Lokalen wie dem Matrix, dem Avalon Ballroom oder dem Fillmore West zum Tanzsound des Proto-Rave-Zeitalters.
1967 kam in New York das Musical «Hair» auf die Bühne. Dort gründete im gleichen Jahr Andy Warhol seine Factory und veröffentlichten The Velvet Underground (& Nico) ihr erstes Album mit dem Bananen-Cover: Ein abgründiger Gegenentwurf zum blumigen Bohemien-Sound an der Westküste. Parallel zu diesem weissen Mittelklasse-Sound trieb die schwarze Populärmusik mit Soul und Funk ihre feinen Blüten. The Temptations, Nina Simone, Aretha Franklin, Ella Fitzgerald, James Brown oder Otis Redding waren mit starken Alben präsent, die zum Teil ebenfalls hippiesk beeinflusst waren, aber in erster Linie selbstbewusst den Power ihrer eigenen Traditionen weiterentwickelten.
Im Swinging London veröffentlichten The Beatles auf dem Höhepunkt ihres Ruhms das Album «Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band»: Laut dem Magazin «Rolling Stone» das beste Album der Pop- und Rockgeschichte. Man sollte darob nicht vergessen, dass im gleichen Jahr viele andere Werke erschienen, die musikalisch mindestens so abenteuerlich, kreativ und schlüssig waren. «Sgt. Pepper», das auch mit seinem Cover zur Ikone wurde, bleibt aber das Album, auf das sich viele einigen können.
Die musikalisch relevante Palette von 1967 war extrem vielgestaltig: «Are You Experienced» von The Jimi Hendrix Experience veränderte auf einen Schlag die Bedeutung von Gitarre, Elektrizität und Energie in der Rockmusik. Captain Beefheart & his Magic Band veröffentlichten ihr schräg-bluesiges Débutalbum «Safe as Milk», The Doors schrieben sich gleich mit zwei hervorragenden Alben in die Gehörgänge. Country Joe & The Fisch débutierten mit dem abgründig glitzernden «Electric Music for Mind and Body», und Moby Grape legten mit dem gleichnamigen Erstling ein zeitlos gebliebenes Pop-Rock-Album hin.
Zu den Prototypen der englischen Psychedelic-Pop-Bands gehörten 1967 Pink Floyd mit ihrem Début «The Piper at the Gates of Dawn», das auch den ausufernden Track «Interstellar Overdrive» enthielt. Das 1967er-Album «The 5000 Spirits or the Layers of the Onion» und sein Nachfolger «The Hangman’s Beautiful Daughter» der englischen The Incredible String Band sind Meilensteine der psychedelischen Musik und des Acid-Folk im Besonderen. Der Einsatz ihres exotischen Instrumentariums, die mäandernden Gesänge, die surreale Poesie der Texte und Aura ihrer Songs bleiben unerreicht.
In San Francisco kamen 1967 The Grateful Dead mit ihrem ersten Studiowerk, auf dem die psychedelische Improvisation «Viola Lee Blues» herausragte. Jefferson Airplane waren die Hippie-Aristokraten der Stunde und veröffentlichten 1967 neben dem Klassiker «Surrealistic Pillow» das experimentierfreudigere «After Bathing at Baxter’s». Von Roots und World Music beseelt waren The Kaleidoscope aus Los Angeles, die mit «Side Trips» ein herausragendes Statement setzten. Ebenfalls von L.A. kamen Love, eine genialische und zerrissene Truppe um Arthur Lee, die 1967 mit «Forever Changes» ein Album veröffentlichte, mit dem man siegesgewiss in den Sgt Pepper-Krieg um die beste Platte der Rockgeschichte ziehen könnte. Aber eben: Make Love not War!
Im Herbst 1967 trugen die Hippies den «Summer of Love» in einem symbolischen Trauerzug zu Grabe. Die Szene war überlaufen, härtere Drogen und negative Medienberichte vermiesten die idealistisch gelebten Gegenentwürfe, und die Sightseeing-Touristen-Busse durch die Hippie-Viertel von San Francisco gaben den Rest. Der «Summer of Love» dauerte nur einen langen Sommer lang, aber er hat die Rockmusik verändert. Dann kam noch Woodstock.