Sterbehilfe in Deutschland: Zürcher Dignitas klagt in Karlsruhe

Sterbehilfe, wie sie der Schweizer Verein Dignitas anbietet, steht in der Bundesrepublik unter Strafe. Nun klagt Dignitas-Gründer Ludwig A. Minelli vor dem höchsten deutschen Gericht gegen den Straftatbestand.

Christoph Reichmuth, Berlin
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Bundesverfassungsgerichtspräsident Andreas Vosskuhe (Bildmitte) eröffnet die Verhandlung in Karlsruhe. (Bild: Uli Deck/Keystone (16. April 2019))

Bundesverfassungsgerichtspräsident Andreas Vosskuhe (Bildmitte) eröffnet die Verhandlung in Karlsruhe. (Bild: Uli Deck/Keystone (16. April 2019))

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hatte sich die vergangenen zwei Tage mit einer heiklen Thematik zu befassen: In wie weit sind sterbenskranke Menschen in ihrer Entscheidung frei, wie und zu welchem Zeitpunkt sie aus dem Leben scheiden wollen?

Seit 2015 ist in Deutschland die «geschäftsmässige Förderung der Selbsttötung», wie es in Paragraf 217 des Strafgesetzbuches heisst, verboten. Wer dagegen verstösst, muss mit einer Geldbusse oder Gefängnisstrafe rechnen. Gestern befasste sich das oberste deutsche Gericht mit sechs Verfassungsbeschwerden gegen den umstrittenen Straftatbestand. Ärzte, tod­kranke Patienten, aber auch Sterbehilfeorganisationen klagen gegen das seit drei Jahren geltende Verbot. Unter den Beschwerdeführern findet sich auch die Schweizer Sterbehilfeorganisation Dignitas und der vertraglich mit Dignitas verbundene deutsche Ableger Dignitas Deutschland. Der Zürcher Dignitas-Gründer Ludwig A. Minelli tritt in dem Verfahren persönlich als Beschwerdeführer auf.

Dignitas wäre in Deutschland verboten

Zum Auftakt der Verhandlung machte der Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, Andreas Vosskuhle, deutlich, dass es in dem Verfahren nicht um die moralische oder politische Beurteilung der Sterbehilfe gehe, sondern alleine um die Frage, ob der entsprechende Straftatbestand mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar sei. «Es geht nicht um das Pro oder Kontra, nicht um unsere Meinung und unsere Standpunkte, sondern ­allein um die Reichweite des Freiheitsraums, den das Grundgesetz einer staatlichen Strafverfolgung entgegensetzt.» Nach Meinung von Dignitas verletzt das Verbot der «geschäftsmässigen Förderung» der Sterbehilfe Persönlichkeitsrechte und das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben.

Die klagenden Ärzte monieren die unklare Rechtslage, da «geschäftsmässig» ein unscharfer Begriff darstelle. Geschäftsmässig unterstellt – anders als «gewerbsmässig» – keine Gewinnabsicht, beinhaltet aber, dass jemand oder eine Organisation die Suizidbeihilfe nicht einmalig, sondern mehrmalig leistet. Ein Sterbehilfeverein wie Dignitas, der sich über Mitgliederbeiträge und Spenden finanziert und bei dem die tatsächliche Sterbebegleitung vergütet werden muss, wäre in Deutschland nach geltendem Gesetz verboten. Im Unterschied zum Schweizer Verein «Exit» bietet Dignitas auch Mitgliedern ohne Schweizer Wohnsitz Suizidhilfe in der Schweiz an. Dignitas zählte Ende 2016 laut Berichten über 7700 Mitglieder aus 83 Ländern, zu diesem Zeitpunkt hatten mehr als 3200 ihren Wohnsitz in Deutschland.

Dignitas lässt sich in dem Verfahren von einer der renommiertesten deutschen Anwaltskanzleien vertreten. Die Hamburger Anwälte Gerhard Strate und Johannes Rauwald kämpften gestern vor dem obersten Gericht zuerst darum, dass die Beschwerde des Schweizer Vereins überhaupt zugelassen wird. Denn grundsätzlich kann eine ausländische juristische Person wie Dignitas nach dem Grundgesetz nicht in Deutschland Verfassungsbeschwerde einreichen.

Urteile erst in einigen Monaten

Für Dignitas gilt nach Ansicht der Anwälte allerdings eine Ausnahme, da der Schweizer Verein «durch die Kooperation mit Dignitas Deutschland» durch den Paragrafen 217 strafrechtlichen Sanktionen in Deutschland ausgesetzt sei, wie Johannes Rauwald gegenüber unser Zeitung erläutert. Ludwig A. Minelli wolle mit der Klage nicht etwa durchsetzen, dass Dignitas künftig die Suizidbegleitung auch in Deutschland anbieten könne, betont Anwalt Rauwald weiter: «Herr Minelli klagt nicht für Dignitas, sondern für die Bürger in Deutschland.» Der Staat solle etwa unheilbar kranken Menschen nicht mehr länger die Möglichkeit verwehren, «sich frei zu entscheiden, mit welchen Angehörigen und Helfern» das Leben beendet werden soll.

Wie sich die obersten Richter in Karlsruhe entscheiden werden, ist unklar. Die Urteile zu den Verfassungsbeschwerden soll erst in einigen Monaten fallen.