Der ehemalige Deutsche Bundespräsident Christian Wulff ist im Korruptionsprozess freigesprochen worden. Doch sein gesellschaftliches Image hat gelitten. Zu oft bewegte er sich in einer Grauzone.
Christian Wulff war die Erleichterung anzusehen. «Das Recht hat sich durchgesetzt», sagte der ehemalige Bundespräsident nach dem Freispruch durch das Landgericht Hannover. Er werde nun erst mal seinen Sohn aus dem Kindergarten abholen. «Meine Kinder werden ihren Vater nun etwas erleichterter erleben.»
Mit dem Freispruch vom Vorwurf der Vorteilsnahme ist Christian Wulff zumindest juristisch rehabilitiert. Doch der Schaden an seinem gesellschaftlichen Image wird weiter an ihm haften: Die Untersuchungen und der Prozess in Hannover haben das Bild eines Mannes gezeichnet, der Dienstliches und Privates oft vermischte und sich dadurch in einer Grauzone bewegte.
Von ursprünglich 21 Verdachtsfällen hat die Staatsanwaltschaft Hannover nach 12monatiger Ermittlung nur noch einen Fall zur Anklage gebracht. Es drehte sich um 720 Euro, mit denen sich der ehemalige Bundespräsident laut Anklage kaufen liess. Worum ging es: Wulff wurde 2008 zusammen mit seiner Frau und seinem Sohn von seinem befreundeten Filmunternehmer David Groenewold nach München ans Oktoberfest geladen. Groenewold soll danach sowohl die Kosten für die Hotelübernachtung als auch für das Kindermädchen übernommen haben.
Wulff, damals noch Ministerpräsident in Niedersachsen, habe sich quasi als Gegenleistung drei Monate später in einem Brief beim Siemens-Chef dafür eingesetzt, dass der Konzern den Film seines Freundes Groenewold finanziell unterstützt. Rasch zeigte sich in dem historischen Verfahren – noch nie stand ein ehemaliges Staatsoberhaupt Deutschlands vor einem Gericht – dass sich die Vorwürfe nicht erhärten lassen. Groenewold und Wulff waren schlicht gute und jahrelange Freunde.
Dutzende von Zeugen wurden in den 13 Verhandlungstagen einvernommen. Das Zimmermädchen im Hotel, die Kellnerin im Bierzelt beim Oktoberfest, sogar «Tatort-Kommissarin» Maria Furtwängler, die im Bierzelt neben dem Ehepaar Wulff sass. Sie alle mussten ihre Beobachtungen über das ominöse Oktoberfest den Juristen vortragen. Wer hat für das Bier bezahlt? Wer hat die Rechnung für den Schweinsbraten und die Bretzel übernommen?
Mit dem gestrigen Urteilsspruch endet – sofern die Staatsanwaltschaft nicht doch Revision einlegen wird – eine zweijährige Staatsaffäre, in der nicht nur der ehemalige Bundespräsident, sondern auch Ermittler und Medien wenigstens teilweise eine fragwürdige Rolle spielten. Zwar hat sich Wulff selbst zuzuschreiben, dass die Medien überhaupt an seiner Integrität zu zweifeln begannen. Er verheimlichte einen privat gesponserten Hauskredit vor dem Landtag in Hannover – wodurch er das Parlament nachweislich belog. Nachdem die Boulevardzeitung «Bild» den fragwürdigen Hauskredit publik gemacht hatte, wurde eine nicht mehr aufzuhaltende Medienlawine losgetreten. Dabei stiessen die eifrig recherchierenden Journalisten auf weitere Ungereimtheiten. Der hohe Politiker liess sich von Freunden und Geschäftspartnern mehrmals zu luxuriösen Ferienreisen einladen.
Doch als die Medien damit begannen, in jeder Kleinigkeit den Beweis für Wulffs Korrumpierbarkeit zu erkennen, nahm die Berichterstattung über den Bundespräsidenten teilweise bizarre Züge einer Hetzjagd an. Ein Beispiel: Das Geburtstagsgeschenk eines Autohändlers für Wulffs Sohn – ein Bobby-Car – wurde als Indiz für Bestechlichkeit gesehen, weil der gleiche Unternehmer bei einer Gartenparty der Wulffs später als Gast gesichtet worden war.
Sicher ist eines: Wulffs Polit-Karriere ist ruiniert. Zerbrochen ist auch seine grosse Liebe zu seiner Frau Bettina. Das Ehepaar hat sich vor einem Jahr getrennt. Eine Rückkehr aufs politische Parkett plant der 54jährige Jurist nicht. Er soll als Anwalt bald für eine grosse Wirtschaftskanzlei in seinem Wohnort Hannover arbeiten, heisst es. Nach dem Urteil gestern meinte Wulff mit Zuversicht: «Nun kann ich mich wieder der Zukunft zuwenden.»