Krise in Österreich: Wie kurz regiert dieser Kanzler?

Nach dem Zusammenbruch der Koalition in Wien infolge der Ibiza-Affäre entscheidet sich am Montag das politische Schicksal von Kanzler Sebastian Kurz. Er muss sich einer Misstrauensabstimmung stellen.

Pascal Ritter, Wien
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Jungkanzler Sebastian Kurz wird zunehmend in den Strudel um die Ibiza-Affäre hineingezogen. (Bild: Georg Hochmuth/APA; Wien, 21. Mai 2019)

Jungkanzler Sebastian Kurz wird zunehmend in den Strudel um die Ibiza-Affäre hineingezogen. (Bild: Georg Hochmuth/APA; Wien, 21. Mai 2019)

Die Krise erfasst nun auch den Kanzler. Am nächsten Montag muss sich der österreichische Regierungschef Sebastian Kurz, 32, einem Misstrauensvotum im Nationalrat stellen. Damit droht die Regierungszeit des bisher jüngsten Kanzlers nach 17 Monaten bereits zu Ende zu sein.

Es ist die neuste Wendung einer Tragik-Komödie, die sich seit fünf Tagen in unserem Nachbarland abspielt. Mitten in die heisse Phase vor der Europawahl, die am Sonntag stattfindet, platzte am vergangenen Freitag die Veröffentlichung eines Videos, in dem sich Vizekanzler Heinz-Christian Strache und dessen Adlat und Fraktionschef Johann Gudenus (beide Freiheitliche Partei, FPÖ) Bereitschaft zeigen, Staatsaufträge gegen Schützenhilfe einer vermeintlichen Nichte eines russischen Oligarchen einzutauschen.

Die Szene, in der auch Wodka-Red-Bull und Machogehabe eine wichtige Rolle einnehmen, spielte sich im Sommer 2017 auf der spanischen Ferieninsel Ibiza ab. Die beiden Protagonisten haben sich am Tag nach der Veröffentlichung von ihren Ämtern zurückgezogen.

Wie gross ist das Misstrauen?

Die schnellen Rücktritte vermochten die Lage nicht zu beruhigen. Kanzler Kurz kündigte Neuwahlen an, und Bundespräsident Alexander Van der Bellen entliess auf Antrag von Kurz den FPÖ-Innenminister Herbert Kickl. Dieser war zur Zeit, als das Video gedreht wurde, Generalsekretär der FPÖ. Die Freiheitlichen machten darauf ihre Drohung wahr und zogen auch die übrigen Minister (Verteidigung, Arbeit und Soziales, Transport) aus der Regierung ab.

Nun könnte auch der Kanzler, der bisher alles daran setzte, als Sieger und Saubermann aus dem Skandal hervorzukommen, in den Strudel hineingezogen werden. Er sieht sich selbst als Staatsmann, der es mit der FPÖ versucht hatte, dem nun aber der Geduldsfaden gerissen ist. «Genug ist genug», sagte er, als er Neuwahlen vorschlug. Kritiker werfen ihm vor, die FPÖ trotz ihrer Verbindungen zu Rechtsextremen salonfähig gemacht zu haben und damit indirekt für den Schlamassel, der im Video aufkochte, verantwortlich zu sein. Das Misstrauensvotum verlangt hat die Kleinstpartei «Jetzt-Liste Pilz» des ehemaligen Grünen-Politikers Peter Pilz. Entscheidend wird sein, ob Sozialdemokraten und Freiheitliche es unterstützen. Für eine Abwahl genügt eine einfache Mehrheit im Nationalrat mit 183 Sitzen. Die konservative ÖVP hat 61 Abgeordnete, die SPÖ 52, die FPÖ 51, die liberalen Neos 10, die Liste «Jetzt» 7. Zwei Parlamentarier gehören keiner Fraktion an.

Die Frage, ob sie Kanzler Kurz mit einem Misstrauensvotum stürzen werden, liessen die Vertreter der FPÖ wortreich offen. So sagte der abgesetzte Innenminister Kickl: «Wer Vertrauen gibt, erhält Vertrauen. Wer Misstrauen gibt, kriegt Misstrauen.» Die Interpretation, dass die Freiheitlichen damit bereits festgelegt hätten, wie sie am Montag entscheiden werden, wies die Partei dann aber zurück. Auch die Sozialdemokraten liessen die Frage offen. Ihre Parteichefin Pamela Rendi-Wagner drängte auf einen freiwilligen Rücktritt von Kurz. Andere Exponenten zeigten sich offen für ein Misstrauensvotum. Die liberalen Neos signalisierten, dass sie sich in der Krisensituation nicht gegen den Kanzler wenden würden.

Gestern besuchte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker Wien. Er sprach an einem Kongress des Europäischen Gewerkschaftsbundes. Auf die Vorgänge im Land angesprochen, sagte er, er wolle keine Ratschläge geben, wie mit der Video-Affäre umzugehen sei. Dann mischte er sich aber doch noch ein: «Am nächsten Sonntag sind Europawahlen. Das ist der Tag, den man gut nutzen kann, um der Gefahr von Rechts den Rücken zu kehren.» Etwas neutraler fügte er später an: Jeder müsse sich die Frage stellen: «Wie würde Europa aussehen, wenn alle so stimmen würden wie ich?»

Hört man sich auf der Strasse um, spricht vieles dafür, dass die Österreicher am Sonntag zu Hause bleiben. Die Empörung über die FPÖ-Exzesse ist gross, gleichzeitig scheint das Vertrauen in die anderen Parteien ebenfalls gering. Allerdings erweisen sich unsere Nachbarn als frustrationsresistente Demokraten. Trotz Skandalen hat Österreich traditionell eine hohe Wahlbeteiligung. Genau darauf setzt auch der Kanzler.

Kurz will profitieren

Sebastian Kurz hofft, dass seine ÖVP von der Krise profitiert. Er spekuliert auf Stimmen von enttäuschten rechten FPÖ-Wählern. Seine Chancen sind intakt. Denn wem sonst sollten sich Wähler zuwenden, die zwar inhaltlich mit dem Anti-Asyl-Kurs der FPÖ einverstanden sind, aber wegen des Ibiza-Videos nichts mehr mit der Partei zu tun haben wollen? Sollte die ÖVP bei den Europawahlen zulegen, würde das sicher ein paar unschlüssige Abgeordnete davon abhalten, ihm am Tag danach das Misstrauen auszusprechen.