Die Frage, ob neu ein Rechtspopulist oder ein Grüner an der Spitze Österreichs steht, wird erst nach Auszählung der Briefwahlstimmen beantwortet.
Spannender hätte der Wahlabend nicht verlaufen können: Bis zuletzt gab es ein Rennen um Zehntelprozente. Mal war der Kandidat der rechten Freiheitlichen Partei (FPÖ), Norbert Hofer, vorn, mal der Grüne-Kandidat Alexander van der Bellen. Zuletzt trennten beide lediglich 2888 Stimmen zugunsten des Letzteren, und dies bei insgesamt 4,4 Millionen gültigen Stimmen.
Die Auszählung der 885 437 Briefwahlstimmen – ein neuer Rekord – wird erst heute endgültig Klarheit schaffen, wer als neuer Präsident in die Wiener Hofburg einzieht. Da traditionellerweise eher höher gebildete und gut verdienende Wähler von Wahlkarten Gebrauch machen, rechnen Beobachter, dass am Ende Van der Bellen die Nase vorn haben wird. Doch auch Hofer gab sich gestern noch optimistisch, machte aber zugleich einen enttäuschten Eindruck.
Dass es diesmal um eine Richtungswahl ging, ob Österreich ein westlich-liberales (Van der Bellen) oder ein nationalistisch-autoritäres Staatsoberhaupt (Hofer) bekommt, lässt sich an der hohen Wahlbeteiligung ablesen: Mit 72,5 Prozent lag diese fast 20 Prozent höher als 2010 bei der Wiederwahl des scheidenden Präsidenten Heinz Fischer.
FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache mochte am Wahlabend den Wahlkampf noch immer nicht beenden. Er bezweifelte vor laufenden Fernsehkameras die Hochrechnungen des staatlichen Senders ORF. Er, Strache, habe «andere Zahlen aus dem Innenministerium», da liege Hofer mit 53 Prozent klar vorne. Doch Strache beugte sogleich im Fall einer Umkehrung des Ergebnisses vor und drückte einmal mehr auf die Tränendrüse: «Hofer musste viele zutiefst beleidigende Untergriffe erdulden.» Strache hat seinen Kandidaten stets als eine Art Opferlamm gezeichnet, das von den «linkslinken» Anhängern Van der Bellen übel verleumdet worden sei.
Obwohl Van der Bellen zuweilen müde und phlegmatisch wirkte, legte er zwischen den beiden Durchgängen eine eindrucksvolle Aufholjagd hin. Vor vier Wochen lag er noch mit 14 Prozent hinter Hofer. «Da haben mir die wenigsten Kommentatoren noch eine Chance gegeben», freute sich der Ex-Chef der Grünen, der doch noch viele Nichtwähler mobilisiert hat, die nicht wollten, dass sich die Republik in der FPÖ-Farbe Blau färbt. Laut dem Institut Sora fanden 40 Prozent der Wähler, dass der 72jährige Van der Bellen – Ökonom und Nachkomme einer Familie mit holländisch-russischen Wurzeln – das Land «besser repräsentieren» könne als sein Herausforderer Hofer, der mit seiner polarisierenden Art und seinem autoritären Amtsverständnis offenbar viele Österreicher abgeschreckt hat.
Mit Ausnahme der FPÖ verfügte der Grünen-Kandidat über Wahlempfehlungen aller Parteien, in seinem Wahlkomitee tummelte sich viel Prominenz aus Politik, Wirtschaft und Kultur. Auch der neue Bundeskanzler Christian Kern sprach sich offen für Van der Bellen aus. Inwieweit ihm dieser Aspekt geholfen hat, ist unklar.
Hofer wiederum konnte mit dem FPÖ-Lieblingsthema, der Flüchtlings- und Integrationsproblematik, überraschenderweise nicht wie erwartet punkten. Obwohl die FPÖ gerade in Wien seit Jahren das «Ausländerproblem» anheizt wie kaum woanders in Österreich, sind 37 Prozent der Stimmen in der Bundeshauptstadt für Hofer ein ernüchterndes Ergebnis.
Erste Analysen zeigen, dass der Kanzlerwechsel und der Umbau der rot-schwarzen Regierung mitten im Präsidentschaftswahlkampf – auch ein Novum in Österreichs Geschichte – das Protestpotenzial entschärft hat, auf das Hofer vor allem gesetzt hatte. Der neue Kanzler Christian Kern von der Sozialdemokratischen Partei (SPÖ) vermochte mit ungewöhnlicher Kritik an der Vorgängerregierung unter Werner Faymann und programmatisch klaren Aussagen eine Aufbruchstimmung zu erzeugen, auf die die Österreicher jahrelang gewartet haben.
Bemerkenswert am vorläufigen Ergebnis ist die tiefe Spaltung zwischen Stadt und Land: Hofer vermochte vor allem in ländlichen Regionen zu punkten. Dies vor allem in seiner Heimat Burgenland, in der Steiermark, Kärnten, Salzburg und Niederösterreich.
Van der Bellen erreichte im Ballungszentrum Wien mit 63 Prozent sein Spitzenergebnis, in Vorarlberg mit 58 das zweitbeste. Das Kaunertal im Tirol, die engere Heimat Van der Bellens, steht Kopf: 85 Prozent der Einwohner haben ihrem «Sascha» die Stimme gegeben. In Pinkafeld, der burgenländischen Heimatgemeinde Hofers, haben ihn «nur» 72 Prozent gewählt.