Ein Finanzskandal zieht die Unionistenpartei von Ministerpräsidentin Arlene Foster bei den Wahlen in Nordirland in Mitleidenschaft. Davon profitieren die Nationalisten.
Aus den Regionalwahlen in Nordirland sind die irischen Nationalisten gestärkt hervorgegangen. Die katholisch-republikanische Partei Sinn Féin (SF) legte um knapp 4 Prozent zu und lag nach Auszählung der Stimmen beinahe gleichauf mit dem bisherigen Koalitionspartner, der protestantischen Unionistenpartei DUP.
Ein DUP-Sprecher sprach von einer «schlimmen Kampagne» gegen seine Parteichefin, Ministerpräsidentin Arlene Foster. Am zweiten Urnengang binnen zehn Monaten beteiligten sich am Donnerstag 64,7 Prozent der rund 1,1 Millionen Wahlberechtigten und damit 10 Prozent mehr als im Mai 2016. Zwischen DUP (28,1 Prozent) und SF (27,9) lagen etwa 1200 Stimmen. Vom Absinken der Regierungspartei um 1,1 Prozent konnte die zweitgrösste Unionistenpartei UUP (12,9) kaum profitieren, die zweitgrösste Nationalistenpartei SDLP stagnierte bei 11,9 Prozent. Hingegen legte die konfessionsübergreifende liberale Allianz um 2 auf 9,1 Prozent zu.
Wegen des komplizierten Präferenzwahlsystems stand die Sitzverteilung bei Redaktionsschluss noch nicht fest, bis gestern Abend waren erst ein Drittel der 90 Mandate vergeben. SF könnte erstmals die bisher dominante DUP als stärkste Fraktion im Parlament überholen, O’Neill hätte dann Anspruch auf das Amt der Ministerpräsidentin.
Die ersten Reaktionen der politischen Parteien deuteten darauf hin, dass sich an der politischen Krise im britischen Teil der grünen Insel einstweilen wenig ändern wird. Die diversen Abkommen, die 1998 den 30 Jahre währenden Bürgerkrieg beendeten, zwingen die jeweils grössten Parteien der beiden Bevölkerungsgruppen zur Zusammenarbeit in der Regionalregierung. Fosters Führungsstil seit ihrer Amtsübernahme vor gut einem Jahr lässt eine zukünftige Kooperation schwer vorstellbar erscheinen. Der 46-Jährigen wird ein Skandal zur Last gelegt, der zur Verschleuderung von etwa einer halben Milliarde Steuergelder führte. Wohlgemerkt britisches Geld, hängt die Provinz doch überwiegend am Londoner Tropf.
Während ihrer Zeit als Wirtschaftsministerin hatte Foster 2012 ein Förderungsprogramm für alternative Energien aufgelegt. Da jedes für Holzpellets oder Biomasse ausgegebene Pfund mit 1,60 Pfund subventioniert wurde, installierten geldgierige Bauern völlig unnötige Heizsysteme, verschwendeten Energie und strichen bis zu sechsstellige Beträge ein. Erst 2016 wurde das ökologisch wie ökonomisch desaströse System gestoppt, die Kosten dürften bei umgerechnet mindestens 495 Millionen Franken liegen.
Zu dem lokalen Skandal kommt die Uneinigkeit über den Brexit. 56 Prozent der Nordiren folgten im vergangenen Juni der Empfehlung von SF, UUP, Allianz und anderen Parteien und sprachen sich für den EU-Verbleib aus. Hingegen hatte die DUP für den Brexit geworben. Dieser führt nun zu anhaltender Unsicherheit in dem Landesteil, dessen Grenzen zur Republik Irland 20 Jahre nach dem Ende des Bürgerkriegs kaum noch erkennbar sind. Da die konservative Regierung von Theresa May aber den harten Brexit samt Austritt aus dem Binnenmarkt anpeilt, stehen zukünftig an der einzigen Landgrenze der Brexit-Insel wieder Grenzkontrollen zur Debatte. Das hat in den letzten Monaten zu einer Zunahme der politisch-konfessionellen Spannungen geführt.
May wird viel Fingerspitzengefühl sowie Hilfe von der südirischen Regierung in Dublin brauchen, um die politischen Kontrahenten in Belfast wieder an den Kabinettstisch zu bringen.
Sebastian Borger, London