Verhandlungen auf Messers Schneide

In Deutschland sind die Koalitionsverhandlungen zwischen der Union und der SPD zwar auf der Zielgeraden, doch die Unterhändler sind müde und nicht sicher, ob sie bald ein spruchreifes Vertragswerk vorweisen können.

Fritz Dinkelmann
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BERLIN. «Ich richte mich auf eine sehr lange Nacht ein», sagte gestern CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt in einer kurzen Verschnaufpause in den Koalitionsgesprächen, die von den Beteiligten nicht nur politisches Verhandlungsgeschick fordern, sondern vor allem Kondition.

«Wir sind geschafft»

Fit sahen die Verhandlungspartner von Union und SPD aber schon nach der langen Nacht auf gestern nicht aus. SPD-Generalsekretärin Nahles wollte einfach nur noch schlafen, und auf die Frage eines ebenfalls übermüdeten Journalisten, ob man einen Durchbruch geschafft habe, antwortete CSU-Chef Horst Seehofer: «Wir sind geschafft.»

Aber dann gab es doch Neuigkeiten zu vermelden. SPD und CDU stimmten Seehofers Lieblingsprojekt einer Maut nur für Ausländer offenbar zu, und man einigte sich auch auf die lange umstrittene Vorratsdatenspeicherung. Ein grüner Computerspezialist stellte gestern den bis dato verhandelten Koalitionsentwurf ins Netz. 177 Seiten Text, aber kein Klartext zu wichtigen Themen. Noch keine Einigung in der Renten- und der Energiepolitik oder dem flächendeckenden Mindestlohn von 8.50 Euro, den die Union gern mit Ausnahmen «entschärfen» möchte. SPD-Vizevorsitzende Manuela Schwesig sagte, nein, Ausnahmen werde ihre Partei nicht akzeptieren: «Es macht für uns nur Sinn, in eine Regierung zu gehen, wenn wir genau diesen Punkt gut hinbekommen.»

«Neuwahlen, statt Murks?»

Nach einem langen Verhandlungstag in den Arbeitsgruppen traf sich gestern abend dann die grosse Runde von CDU, CSU und SPD – zum letzten Mal? «Der Endstand eines Spiels entscheidet, ob man in eine Verlängerung gehen muss», sagte Dobrindt, eine Steilvorlage für das Magazin «Focus», in dem die bisherigen Verhandlungen als Nullnummer kommentiert werden: «Lieber Neuwahlen statt diese Murks-Koalition», heisst es in einem Kommentar und: «Wir wollen lieber gar nicht regiert werden als so – keine Entscheidungen sind besser als falsche.»

«Sehen, ob die SPD springt»

Tatsächlich ist die nach der Wahl im September grosse Zustimmung in der Bevölkerung für eine Grosse Koalition derart geschrumpft, dass Kanzlerin Angela Merkel sich nun auch von der CDU-Basis bedrängt sieht. In ihrem Namen formulierte der Vizevorsitzende Christian Bäumler den Vorwurf an die Chefin: Seit der Bundestagswahl nehme sie die Mitglieder kaum mehr wahr, «wir sind nur noch eine One-Woman-Partei.» Es ist der Unmut über den Umgang mit einem triumphalen Ergebnis, dem die SPD den Lack abgekratzt hat. Viele Unionsmitglieder sind verärgert über die forsche Gangart der Wahlverlierer, auch CSU-Generalsekretär Dobrindt: «Man wird sehen, ob die SPD heute springt», sagte er vor den Stunden der Entscheidung: Nicht die Union, sondern die SPD müsse über ihren Schatten springen und auf Forderungen verzichten.

Wer soll das bezahlen?

Auf die doppelte Staatsbürgerschaft? Es wäre nicht die wesentliche Frage, aber die wird im erwähnten vorläufigen Vertragswerk auch nicht beantwortet: Die Frage nämlich, wer das bezahlen soll. «Das Ringen um das Finanztableau» werde «sicher viel Zeit in Anspruch» nehmen, sagte Unionsgeneralsekretär Hermann Gröhe, gestützt auf Berechnungen des Finanzministeriums. Bis 2017 kann Deutschland zwar mit Etat-Überschüssen von etwa 15 Milliarden Euro rechnen. Demgegenüber stehen aber Ausgabebedürfnisse der geplanten schwarz-roten Koalition von gut 50 Milliarden Euro.