Britische Polizeichefs und Moslem-Organisationen sprechen erstmals über ein Tabu: Sexuellen Missbrauch mit rassistischen Motiven durch Einwanderer.
london. In nordenglischen Städten häufen sich die Fälle von Gangs junger Männer, die Mädchen zwischen 12 und 16 Jahren den Kopf verdrehen und sie dann monatelang missbrauchen und zur Prostitution zwingen. Dies dokumentieren offiziell zugängliche Zahlen. 56 Männer wurden in den vergangenen Jahren wegen des sogenannten «grooming for sex» verurteilt (grooming bedeutet im Slang Kinderanmache); 53 waren asiatischer Herkunft, 50 haben pakistanische Wurzeln. Die Hunderte von Opfern waren überwiegend Weisse.
«Um solche Verbrechen stoppen zu können, müssen wir darüber reden», glaubt Kriminaloberinspektor Alan Edwards von der Polizei in West Mercia. «Aber alle haben Angst vor dem ethnischen Faktor.» Das scheint sich nun aber zu ändern. Es handle sich um ein «Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das im Islam streng verboten ist», glaubt Mohammed Shafiq von der Ramadhan-Stiftung. Anders als vor zwei Jahren, als Shafiq nach ähnlichen Äusserungen «verbal und körperlich angegriffen» wurde, erfährt der führende Moslem diesmal Zustimmung von Glaubensbrüdern. «Wir müssen innerhalb unserer Bevölkerungsgruppen ehrlich darüber reden, wie wir dieser Ausbeutung von Kindern ein Ende machen können.»
Ähnlich äussert sich der Vorsitzende des Innenausschusses im Unterhaus, Keith Vaz. Er will die Ermittlungsbehörde für organisierte Kriminalität Soca in Marsch setzen: «Wir brauchen eine sorgfältige und furchtlose Untersuchung der Netzwerke, egal, wohin sie führt.»
Übereinstimmend weisen Behörden und Medien darauf hin: Der Missbrauch von Minderjährigen wird in Grossbritannien überwiegend von Weissen verübt; 82 Prozent aller Sexualverbrecher, die Haftstrafen absitzen, gehören dieser Bevölkerungsgruppe an. Weniger als sechs Prozent sind asiatischer Abstammung. Andererseits verrieten Polizei-Insider der Londoner «Times», auf die Gerichte komme «eine Flutwelle» von «Grooming»-Verfahren zu.
Den vorläufig letzten Fall einer asiatischen Sex-Gang verhandelte letztes Jahr das Krongericht von Leicester. In der mittelenglischen Stadt Derby hatte eine Gruppe von Männern zwischen 24 und 38 über Jahre hinweg junge Mädchen in ihren Bann gezogen. Das Verhaltensmuster war stets das gleiche, wie Bilder von Überwachungskameras belegen: Sie zeigen zwei der Rädelsführer in einem BMW auf den Strassen der Stadt, wie sie zu verschiedenen Tages- und Nachtzeiten junge Mädchen ansprechen. Typischerweise wurden bei der ersten Kontaktnahme Handy-Nummern ausgetauscht, bei späteren Treffen kreisten Wodka-Flaschen und Joints. «Ich wurde zunächst gut behandelt und war begeistert. Später haben sie mich in jeder Hinsicht missbraucht», berichtete ein 16jähriges Opfer.
Die Gang-Mitglieder beschränkten sich nicht auf ihre Gewalt gegen die Mädchen, sondern betätigten sich auch als Zuhälter. Scotland Yard zufolge lassen sich dabei Gewinne von bis zu 300 000 Pfund pro Jahr erzielen. Ihre Opfer behandeln die Täter mit Verachtung, sprechen von ihnen als «gori», was auf Urdu soviel bedeutet wie «weisshäutige Frau». Einer der Bandenchefs in Derby, der 28jährige Abid S., sagte vor Gericht kühl: «Ich habe keinen Respekt für diese Mädchen. Sie wollen immer nur Party machen und Drogen nehmen. Zu Sex kam es einvernehmlich.» Neun Männer – sieben Pakistaner, ein Inder, ein Weisser – verurteilte das Gericht; auf sie warten langjährige Haftstrafen. Die zeitweilig bis zu 100 Mitglieder zählende Sonderkommission identifizierte 27 Opfer, von denen 22 Weisse sind.
Die Enthüllungen wirken auch deshalb so schockierend, weil die ethnische Komponente jahrelang ignoriert wurde. Dafür gibt es einleuchtende Erklärungen. Gerade in den heruntergekommenen früheren Industriestädten Nordenglands leben weisse Mehrheit sowie Einwanderergruppen aus Pakistan und Bangladesh oft ohne jede Berührungspunkte nebeneinander her. Im Klima von Sprachlosigkeit und gegenseitigem Misstrauen kann kein Dialog über Probleme aufkommen, die alle etwas angehen – zumal die Verbrechen von einer winzigen Minderheit begangen werden und auch in den eigenen Reihen verabscheut werden.